Es ist erstaunlich, aber Corona-Infektionen unter obdachlosen Menschen waren lange Zeit eine Ausnahme. Das hat sich seit letztem Dezember gründlich geändert. Die Pandemie ist seither bei dieser vulnerablen Gruppe voll angekommen. Bitter ist es, zu sehen, wie wenig bislang zum Schutz obdachloser Menschen tatsächlich getan wurde. Vor allem das Leben in Massenquartieren, in denen Abstand halten unmöglich ist, befördert das Ansteckungsrisiko.
Wir wissen bislang von vier größeren Clustern, die sich in den Quartieren des Winterpakets ergeben haben. Dazu kommen viele weitere „Einzelfälle“. Einer der größeren Cluster ereignete sich im Jänner diesen Jahres im Notquartier Gudrunstraße. Dort waren zunächst immer mehr Nutzer der Einrichtung und schließlich auch Mitarbeiter_innen von der Ansteckung betroffen. Die Kolleg_innen des NQ Gudrunstraße hatten bereits seit Herbst zunehmend unter massiver Unterbesetzung gelitten. Die reguläre Besetzung war um vier Teilzeitstellen zu knapp berechnet – dazu kamen Krankenstände, die nicht zuletzt Folge der starken Belastung und der vielen geleisteten Überstunden waren. Aufgrund dieser Belastungen begann sich die Basis zu organisieren, die Zustände zunächst trägerintern anzusprechen und mit Unterstützung des Betriebsrates Gespräche mit den Verantwortlichen des Trägers und des Fonds Soziales Wien einzufordern. Als sich schließlich die positiven Fälle stark häuften, gingen die Mitarbeiter_innen an die Öffentlichkeit.
Seit letzter Woche ist nun klar, dass das Notquartier Gudrunstraße als einziges des Winterpaketes nicht verlängert wird.
Viel zu wenig wurde bislang zum Schutz obdachloser Menschen unternommen.
Die Notquartiere des Winterpakets bieten grundsätzlich kaum Schutz. Die Regel sind Mehrbettzimmer. Nur in einer Einrichtung gab es Einzelzimmer, und selbst diese wurden im Laufe des Winters zu Doppelzimmern umfunktioniert. Nicht selten müssen obdachlose Personen mit bis zu acht anderen Menschen auf wenigen Quadratmetern schlafen. Es gibt nur eine Essensausgabestelle, an der in langen Schlangen angestanden wird. Sanitäranlagen werden mit anderen geteilt. Zu wenige Aufenthaltsräume bieten zu wenige Sitzmöglichkeiten. Das hat zur Folge, dass viele Menschen ihre Mahlzeit in ihren Betten zu sich nehmen müssen. In manchen Einrichtungen lassen sich Fenster „aus Sicherheitsgründen“ nicht öffnen, sondern nur kippen, was die notwendige Belüftung unmöglich macht. Das Einhalten der Abstandsregel ist sowieso unmöglich. Was also für den Rest der Bevölkerung gilt, kann unter den Bedingungen der derzeitigen Notschlafstellen nicht einmal angedacht werden. Dies führt die strukturelle Ungleichheit von Krankheitsrisiko und Gesundheitschancen weiter fort und führt zu Angst und Verunsicherung unter den Betroffenen.
Immer mehr Menschen ziehen es daher vor, auf der Straße zu schlafen. Gerade dieser Umstand zeigt das Scheitern des Systems auf!
Als Reaktion auf die Pandemie wurde bereits im Frühling 2020 die Anzahl der zur Verfügung gestellten Betten reduziert, wodurch es insgesamt weniger Schlafplätze gibt. Die Hürden, einen Platz in einem Notquartier zu bekommen, wurden höher. Schlafplätze, die ohne größeren bürokratischen Aufwand vergeben werden können (sogenannte Notbetten), gibt es seit bald einem Jahr so gut wie keine mehr. Dazu kommt die ständige Gefahr der Quarantäne. Wir kennen Fälle, in denen Nächtiger_innen dreimal als K1-Personen abgesondert wurden, weil sie in den überbelegten Mehrbettzimmern dem engen Kontakt zu Anderen nicht entgehen konnten.
Auch in den Quarantänequartieren scheint vieles nicht so glatt zu laufen. So waren in Folge des Covid-19-Clusters im Notquartier Pav. VIII suchtkranke Personen zum Teil tagelang ohne medikamentöse Versorgung in Quarantäne. Dazu kommt ein massives Informationsproblem, da es de facto keine mehrsprachigen Informationen zur Absonderung gibt. Dieser Umstand führt immer wieder zu Verunsicherung.
Die wenigen Schutzmaßnahmen, die es gibt, gehen also auf Kosten der Betroffenen.
Aber auch für uns Basismitarbeiter_innen ist die Situation eine Zuspitzung der ohnehin schon prekären Lage. Unterbesetzungen gab es schon lange vor der Pandemie. Sie sind aufgrund vermehrter Krankenstände aber verstärkt zu spüren. Psychische Belastungen steigen unter den Bedingungen der Pandemie. War unser Job davor schon nicht viel mehr als Elendsverwaltung, sehen wir jetzt, dass selbst diese immer öfter scheitert. Insgesamt ist die Lage deutlich angespannter: Für schlechten Lohn müssen wir unsere Gesundheit aufs Spiel setzen, für ein teils mangelhaftes Management unsere Sozialkontakte massiv einschränken. Dennoch bleibt immer die Gefahr, dass wir uns nicht nur selbst, sondern auch unsere Familie, Freund_innen, WG anstecken.
All diese Probleme waren durchwegs voraussehbar. Dennoch wurde letztes Jahr im Sommer, als ungeachtet der Pandemie die meisten Notquartiere für drei Monate schlossen, nichts unternommen, die Situation zu verbessern. Die Entscheidungsträger_innen machten ihre PR-Veranstaltungen im einzigen Nachtquartier mit Einzelzimmern und priesen die (vermeintlichen) Verbesserungen. Die Spenden sollten besonders in diesen Notzeiten üppig fließen. Die Realität vor Ort stört da nur.
Kurzfristig getroffene Entscheidungen prägen unseren Arbeitsalltag seit Beginn der Pandemie.
Zuerst die kurzfristige Umstellung auf den 24-Stunden-Betrieb, für den die Räumlichkeiten nicht geeignet waren und sind. Dann die Verlängerung des Winterpakets 2020, das aber im August schon wieder geschlossen wurde. Der 24-Stunden-Betrieb wurde im Herbst zurückgenommen und kurz darauf wieder eingeführt. Mit dem Kälteeinbruch im Februar wurde kurzfristig die Bettenanzahl eines Quartiers erhöht, obwohl auch dort die Räumlichkeiten dafür nicht geeignet sind – die Anzahl der Mitarbeiter_innen blieb dabei die gleiche.
Vor etwa einer Woche kam nun die Nachricht, dass der Großteil der Einrichtungen des Winterpaktes verlängert wird. Allerdings, so wie schon letztes Jahr, wieder nur bis Anfang August. Zu etwas Stabilität und Planbarkeit für alle (!) Beteiligten kann sich offenbar nicht durchgerungen werden.
Menschen in Pandemiezeiten in Massenquartieren unterzubringen ist nicht besonders schlau – das sollte offensichtlich sein. Diese Problematik betrifft nicht nur Obdachlosenquartiere, sondern auch Quartiere für Geflüchtete oder Saisonarbeiter*innen. Am gefährlichsten sind Massenheime für Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Pflegebedarf und für alte Menschen. Bislang gab es in mehr als einem Drittel der Alten- und Pflegeheime Cluster, nahezu die Hälfte der durch Covid-19 gestorbenen Menschen kommt von dort. Das zeigt deutlich, dass diese Art der Unterbringung ein Brandbeschleuniger der Pandemie ist.
Massenunterkünfte zu betreiben sollte eigentlich nicht einmal mehr denkbar sein.
Eine der ersten und wichtigsten Ad-hoc-Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in diesen Bereichen sollte es sein, für kleine, dezentrale Unterkünfte mit gutem Betreuungsschlüssel zu sorgen, die ausreichend Schutz vor weiterer gesundheitlicher Gefährdung bieten.
Angesichts der Untragbarkeit der Zustände sowie der stark gestiegenen Arbeitsbelastung und Gesundheitsgefährdung ist der Unmut unter den Basisarbeiter_innen groß. Nicht nur in der Gudrunstraße, auch in anderen Einrichtungen wurde begonnen, sich zu organisieren. Offene Briefe werden geschrieben, Betriebsversammlungen abgehalten, Vernetzung mit anderen Einrichtungen organisiert, Protestaktionen geplant.
Wir wollen, dass sich etwas ändert – und zwar jetzt!
Mögliche Wege zu diesem Ziel sind die Organisierung innerhalb der einzelnen Einrichtungen, das Einfordern besseren Arbeitsschutzes, gemeinsam geschriebene offene Briefe an die Trägerverantwortlichen oder die Verantwortlichen beim FSW und bei der Stadt Wien und vieles mehr.
Von den Verantwortlichen können wir keine Veränderung erwarten. Deswegen liegt es an uns, Sachen ins Rollen zu bringen – und das können wir nur gemeinsam schaffen!