Die erste akute Phase der Corona-Pandemie ist vorbei. Damit verklang auch der Applaus für uns, die wir plötzlich als „systemrelevant“ eingestuft worden waren. Die symbolische Anerkennung ist schön und gut, aber unsere Arbeitsbedingungen haben sich dadurch überhaupt nicht verbessert. Sie bleiben weiterhin prekär und risikogeladen, was besonders stark in der Covid-19 Zeit sichtbar wird.
Mit Anfang August endet das provisorisch verlängerte Winterpaket, so wurde uns das noch bis ende Juni kommuniziert, nun scheinen aber einige Einrichtungen weiter zu laufen. Dabei ist gänzlich unklar, wie genau das abrennen wird, wer von den Angestellten übernommen wird und wer sich zukünftig dem AMS vorstellen muss. Besonders in den unsicheren Zeiten Kolleg_innen einfach in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, das geht gar nicht. Immer wieder müssen wir feststellen, dass wir zwar bei Trägern arbeiten die vermeintlich im sozialen Bereich tätig sind, aber alles andere als sozial sind.
Wie es dann im Herbst zum offiziellen Start des Winterpakets 2020/2021 weitergeht und ob jetzige Kolleg_innen eine Anstellung erhalten ist nicht klar und spricht für die fehlende Wertschätzung, die für unserem Bereich so bezeichnend ist.
Bereits letztes Jahr zum 1. Mai 2019 organisierten wir zum Ende des Winterpakets eine Kundgebung um zum einen ein ganzjähriges, niederschwelliges und qualitätsvolles Angebot für alle zu fordern, sowie die Beendigung unserer prekären Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Auch aufgrund der positiven Erfahrungen und guten Rückmeldungen aus dem Vorjahr, machten wir am 15. Juni unsere Kundgebung am Platz der Menschenrechte. Das Ende des Frühjahr Lockdowns war eine gute Gelegenheit um erneut auf unsere Forderungen öffentlich aufmerksam zu machen. Über 150 Menschen kamen zusammen, solidarisierten sich mit unseren Themen, hörten den Vorträgen zu, tauschten sich aus und teilten Arbeitserfahrungen mit.
Der inhaltliche Fokus lag dieses Jahr verstärkt auf unseren Arbeitsbedingungen. Nicht zuletzt wegen unserer gemachten Erfahrungen an unseren Arbeitsplätzen während des Lockdowns der ersten Covid-19 Welle. Wie wir hier und hier auf unserem Blog berichtet haben, gab es keinen adäquaten Umgang mit der Situation, geschweige denn ein „Krisenmanagement“, das sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert hätte. Die vom Staat verordnete Sicherheitsbestimmungen wurden schlicht ignoriert, bzw. aktiv nicht umgesetzt. Wie schon oft angesprochen, sind Sicherheitsabstand und Selbstisolation in unserem Bereich eine Illusion und zeugen von der ungleichen Behandlung von Menschen in unserer Gesellschaft.
Das Verbinden vom Kampf für gute Arbeitsbedingungen ist untrennbar mit dem Kampf für unseren Bereich und unsere Zielgruppe zu sehen, denn erst wenn wir gute Arbeitsbedingungen vorfinden können wir auch gute Arbeit machen.
Es gab drei kämpferische Beiträge von Aktivist_innen der Initiative Sommerpaket. Neben den bereits angesprochenen Beiträgen zur den Arbeitsbedingungen und der willentlichen Reproduktion von prekären Arbeitsbedingungen, die für unseren Bereich so bezeichnet sind, wurde der Verrat der Gewerkschaft durch die neuen Kollektivverträge, die Kämpfe im Sozialbereich genauso wie soziale Kämpfe allgemein thematisiert.
#1 Corona – War da was?
Durch die Maßnahmen, die die Stadt Wien und die Träger aufgrund der Corona-Pandemie setzten, schien ein Teil unserer Forderungen erfüllt. Das Winterpaket wurde bis in den Sommer hinein verlängert und auf 24-Stunden-Betrieb umgestellt. Doch ein genauerer Blick zeigt: Es ging dabei nicht um eine Verbesserung der Situation für wohnungslose Menschen. Es war viel mehr die Angst, dass obdachlose Menschen den Rest der Gesellschaft anstecken könnten, die den Fonds Soziales Wien zu diesen Maßnahmen greifen ließ. Wäre es um eine echte Verbesserung für die Betroffenen gegangen, wären wohnungslose Menschen in kleineren Unterkünften oder, als ad-hoc-Maßnahme, in leerstehenden Hotels untergebracht worden, und nicht in Massenquartieren mit hoher Ansteckungsgefahr. Es hätte genug Schutz- und Desinfektionsmittel für uns Mitarbeiter*innen gegeben; die Bettenkapazität wäre nicht genau dann heruntergefahren worden, als ausreichend Schlafplätze am meisten gebraucht wurden. Und das Angebot an Wärmestuben und Tageszentren, Streetwork und medizinischer Versorgung wäre nicht teils eingestellt oder eingeschränkt worden.
#2 Klassenkampf von Oben
Diese Kundgebung findet in interessanten Zeiten statt. Es gibt schon länger einen Klassenkampf von oben, eine Umverteilung von unten nach oben. Durch die Corona-Krise beschleunigt und verschärft sich dieser Prozess. Wir sehen, dass viele Milliarden Euro für die “Wirtschaft”, und hier vor allem für große Unternehmen, zur Verfügung gestellt werden. Doch für die Arbeiter*innen bleibt keine Kohle über. Ein erster Vorgeschmack auf das, was auf uns zukommen wird, ist die AUA-Rettung. Da werden hunderte Millionen für eine vermeintliche Rettung ausgegeben, doch die Arbeiter*innen müssen neben dem Reallohnverlust, den sie eh schon kennen, nun auch einen Nominallohnverlust hinnehmen. Ihr Lohn wird um ca.10% gekürzt.
#3 Polizei & Abschiebestaat
Unser dritter Beitrag kritisierte rassistische Polizeigewalt und nicht hinzunehmende Abschiebungen von Obdachlosen. Nicht nur sind marginalisierte Menschen allgemein signifikant höher von Polizeiübergriffen betroffen, sondern gerade unsere Zielgruppe ist ganz zentral Verdrängung, Schikanen und Willkür von Polizei und Securitys ausgesetzt. Umso wichtiger ist es für die Betroffenen einzustehen und in der Öffentlichkeit auf diesen Missstand hinzuweisen. Auch wir kriegen mit wie unsere Klient*innen von der Polizei willkürliche Maßnahmen ausgesetzt sind, weil sie aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden sollen. Erst vergangene Woche wurde ein Fall bekannt, wo ein Beamter einen obdachlosen Mann vor einer Tageseinrichtung mit Pfefferspray attackiert habe. Seine beiden Kollegen haben das tatenlos hingenommen.
Viele von unseren Klient*innen haben aber auch Schwierigkeiten mit ihrem aufenthaltsrechtlichen Status. Mehr als die Hälfte der Abschiebungen in Österreich betreffen europäische Bürger*innen. Auch wir in den Notschlafstellen erhalten regelmäßig Besuch von der Fremdenpolizei. Sie kommen dann mit Namenslisten von Klient*innen die sie mitnehmen wollen. Manche von ihnen kommen nicht wieder, weil sie Angst haben abgeschoben zu werden oder eben abgeschoben wurden.
Nicht nur wir als Sommerpaket setzten die Themen, sondern luden befreundete Initiativen und Mitstreiter_innen ein um Kämpfe zu Bündeln und Themen zu vernetzten. Unsere Genoss_innen von Wir sind sozial aber nicht blöd buchstabierten noch mal ganz klar die Richtung aus, in die unsere Arbeiter_innenkämpfe im Sozialbereich zu gehen haben: Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung. In einer elanvollen Rede hat eine Aktivistin und Caritas-Basismitarbeiterin nicht nur die sukzessive Arbeitszeitverkürzung über die 35h-Woche hinaus gefordert, sondern auch grundsätzlich die Organisation von Lohnarbeit in unserer Gesellschaft allgemein zum Thema gemacht.
Selma Schacht, Teil des Großen KV-Teams in den SWÖ Verhandlungen, plädierte – trotz zynischen KV-Abschluss – dafür die nächsten Jahre für die weitere Organisation und den Ausbau von Vernetzungen an der Basis zu nutzen.
Die Aktivistin Regina Amer vom Verein Hope Austria, einer Selbstorganisation von Betroffenen, sprach von aktuellen Herausforderungen und von untragbaren Zuständen, die es zu ändern gilt. Aufgegriffen wurde das von der Stadtaktivistin Gabu Heindl die revolutionäre Perspektiven auf Gesellschaft einbrachte. Sie erinnert uns, dass Sozialeinrichtungen daran arbeiten sollten, sich selbst abzuschaffen und eben gerade nicht permanent daran beteiligt sein sollten, dieselben Verhältnisse zu reproduzieren. Ebenso Thema war die besonders prekäre Situation von wohnungslosen Menschen, die auf Massenquartiere angewiesen sind, sowie die Notwendigkeit einer Wohnpolitik, die leistbares Wohnen für alle ermöglicht.
Dieser Beitrag ist auch für uns als strategische Initiative wichtig. So ist unser Kampf nur ein aktuell taktischer, den es immer wieder mit Forderungen „ums Große Ganze“ zu verknüpfen gilt.
Abgerundet wurde der sonnige Nachmittag von Livemusik einer Band von einer Basis-Kollegin und politischen Gedichten von Brigitte Menne. Zwischen den Beiträgen wurden von Kundgebungsteilnehmenden Kurzberichte aus einer Erfahrungsbox von Arbeitenden aus unserem Bereich verlesen.
Die Kundgebung war ein weiterer Schritt in unserem Kampf für ein gutes Leben für alle. In unserem konkreten Arbeitsbereich ist die Schaffung von einem ganzjährigen, niederschwelligen, qualitätsvollen Quartieren für alle Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, ein kleiner aber wichtiger Schritt, um akuten Notlagen etwas entgegenzusetzen. So wie es aussieht wird es noch weitere Aktionen brauchen, bis unsere Forderung umgesetzt sind. Und auch dann machen wir weiter, denn es gilt nichts geringeres, als dass was Gabu Heindl ausbuchstabiert hat: um die Überflüssigmachung unseres Bereiches.
Alles in allem eine wichtige und sehr gelungene Kundgebung! Danke für Euer Kommen und eure solidarische Unterstützung! Haltet Ohren und Augen offen, eine nächste Aktion bahnt sich schon an!
Hier noch einige mediale Eindrücke von der Kundgebung:
Ein schönes Video vom Augustin Fernsehen „Der Applaus ist nicht genug“:
Wohnraum für alle! Die Inititative Sommerpaket wird laut: und fordert bessere Arbeitsbedingungen: bessere Bezahlung – unbefristete Verträge und Unterkünfte für Obdachlose das GANZE JAHR über!
Gepostet von Augustin Fernsehen am Mittwoch, 17. Juni 2020
Eine tolle Fotoserie und ein Video von unseren Genoss_innen von Wir sind sozial aber nicht blöd:
Die Initiative Sommerpaket setzt sich seit Jahren für die Rechte wohnungsloser Menschen und der Basismitarbeite*innen…
Gepostet von Wir sind sozial aber nicht blöd. am Dienstag, 16. Juni 2020