Queering der Wohnungslosenhilfe
Am Samstag – dem 06.07.2024 – hat die AG Queere WWH ein Positionspapier zur Verbesserung der Situation für queere Obdach- und Wohnungslose in Wien veröffentlicht. Bei unserer Kundgebung der Initiative Sommerpaket tags zuvor haben wir dieses bereits angekündigt und einen Redebeitrag dazu vorgelesen.
Die AG Queere WWH ist ein Zusammenschluss von Basismitarbeitenden aus unterschiedlichen Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe (WWH). Sie alle sind Queers und Allys. Ihre Kenntnisse speist die Arbeitsgruppe aus Erfahrungswissen, Vernetzungen, theoretischer Auseinandersetzung und vor allem auch aus den täglichen Begegnungen mit queeren Klient*innen in der WWH. Gemeinsam hat die Arbeitsgruppe seit September an einem Positionspapier geschrieben, das nun veröffentlicht wurde und für alle Interessierten auf folgender Website frei zum Downloaden bereit steht: https://queerewwh.wixsite.com/positionspapier
Warum aber braucht es eine spezifische Ausrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe nach queeren Klient*innen?
Schließlich muss sich jede obdach- oder wohnungslose Person tagtäglich mit den immensen Gefahren und Belastungen auseinandersetzen, die mit dem Leben auf der Straße und im System der WWH einhergehen. Sei es Wetterphänomenen wie Kälte, Nässe und Hitze, mangelnde Hygiene-Möglichkeiten, mangelnde Privatsphäre, Stress durch die ständige Suche nach Schlafmöglichkeiten, permanenter Schlafmangel, Mangel- und Fehlernährung, Vereinsamung, Krankheit oder Übergriffe.
Obdach- und Wohnungslose die queer sind – und dabei vor allem TI*N (trans, inter* und nicht-binäre) Personen – sind aber zusätzlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen, die gesellschaftlich abgewertet werden einem stark erhöhten Risiko ausgesetzt Diskriminierung, Ausschluss und Gewalt zu erfahren. Auch die WWH bietet bisher kaum sicheren Raum für diese Zielgruppe. LGBTI*QNA+ Klient*innen sind hier oft zusätzlicher Diskriminierung sowie Gewalt durch andere Klient*innen oder auch Mitarbeitende ausgesetzt und werden teilweise dezidiert aus den Angeboten ausgeschlossen. Das passiert zum Beispiel, wenn das Aussehen von trans Frauen durch Mitarbeitende der WWH als “nicht weiblich genug” bewertet wird, um einen Platz im Frauennotquartier zu bekommen.
Prinzipiell ist die gesamte WWH binär organisiert, also in Räume für Männer und Räume für Frauen. Diese binäre Aufteilung stellt eine klare Diskriminierung auf struktureller Ebene dar. Damit haben alle Personen abseits des binären Systems keinen Platz in der WWH, ein Umstand, der vor allem schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben von TI*N Klient*innen hat. Ihnen wird vielfach der Zugang und somit lebensnotwendiger Schutz verwehrt.
Die Ausrichtung der Wohnungslosenhilfe nach den Bedürfnissen queerer Klient*innen wird im herrschenden Diskurs oft mit dem Argument abgetan, dass nicht klar sei, wie hoch der Bedarf danach ist, da keine Zahlen und Statistiken zu queerer Obdach- und Wohnungslosigkeit in Österreich existieren.
Die AG Queere WWH argumentiert hier sehr richtig, dass das Vorhandensein einer Versorgungslücke nicht erst durch Zahlen legitimiert werden muss, um real zu sein. Queere Obdach- und Wohnungslose existieren nicht erst, wenn sie durch Zahlen in einer Statistik erfasst werden. Das zeigt sich sehr deutlich sowohl in der täglichen Praxis als Basismitarbeitende der WWH als auch in zahlreichen bereits vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen.
Um den Bedarfen dieser Zielgruppe gerecht zu werden und eine diskriminierungssensiblere und inklusivere WWH zu schaffen braucht es jedoch umfassende Veränderung auf mehreren Ebenen. Im Positionspapier werden deshalb Handlungsempfehlungen gegeben und Forderungen gestellt, die zur Verbesserung der Situation für queere Obdach- und Wohnungslose führen sollen. Die Forderungen richten sich an verschiedene Akteur*innen der WWH, also an Mitarbeitende, Führungskräfte, Träger und Fördergebende. Viele der Forderungen, welche die AG Queere WWH stellt, decken sich dabei mit den Forderungen der Initiative Sommerpaket. Das ganze Positionspapier ist außerdem mit konkreten Beispielen aus der Praxis unterfüttert, um zu veranschaulichen, wie genau eine Umsetzung aussehen kann.
Allgemeine Forderungen
Diese richten sich an alle Akteuer*innen der WWH (Mitarbeitende, Führungskräfte, Träger und Fördergebende):
- Leitsätze für diskriminierungskritische Räume schaffen
- Angebotsstruktur transparent machen
- Mitarbeitende sensibilisieren
- Diskriminierungssensible Aus- und Fortbildungen fördern
- Gleichstellungsmaßnahmen für Mitarbeitende etablieren
- Vernetzung mit medizinischen und psychologischen Angeboten
- Raum für Transition(-sprozesse) gewährleisten
- Zielgruppenspezifische Einrichtungen schaffen
Forderungen an Einrichtungen
Diese gliedern sich nach Einrichtungstyp (Streetwork, Tageszentren, Beratungs- und zuweisende Stellen, Notquartiere, Chancenhäuser, Mobil betreutes Wohnen und Stationär betreutes Wohnen). Forderungen an diese sind bspw.:
- ganzjährige Öffnung der Notquartiere
- Stabilisierung durch längere Unterbringung in Chancenhäusern
- Zugang zu geschlechtsneutralen Sanitärräumen
- Einzelzimmer mit eigenem Sanitärbereich
- frei gestaltete Zimmerzuteilung
- queerspezifische Freizeit- und Aktivierungsangebote
- Formulare und Zuweisungsscheine inklusiv gestalten
- Kleiderausgabe genderneutral gestalten
- Schnellere Platzvergabe ermöglichen
Forderungen an Träger
Träger sind wichtige Vermittler*innen und Entscheidungsträger*innen, wenn es um den Rahmen geht, in dem Angebote der WWH bereitgestellt werden. Folgende Forderungen richten sich – neben den allgemeinen Forderungen – dezidiert an sie:
- Beschwerdestellen einrichten
- Bereitschaft Angebote zu entwickeln
- Dokumentationssysteme bereitstellen, das queere Identitäten widerspiegeln kann
Forderungen an Fördergebende
Fördergebende sind wesentliche Entscheidungsträger*innen für Organisationen uns deren Mitarbeitende. Sie geben durch Finanzierung und Förderrichtlinien vor, in welche Richtung sich die Einrichtungen entwickeln können. Forderungen an sie sind:
- Klare Haltung zeigen und Inclusion Statement formulieren
- Budget für Wissensstandards implementieren
- Bedarf anerkennen
- Bestehende Angebote ausbauen
- Zielgruppenspezifische Einrichtungen fördern
- Übersicht über Angebotsstruktur bereitstellen
Die gesamte Angebotslandschaft der WWH muss sich für queeren Klient*innen verbessern! Der Bedarf von queeren Klient*innen und ihre hohe Gefährdung muss anerkannt werden! Die Existenz queerer Klient*innen darf nicht länger ignoriert werden! Alle Akteuer*innen der WWH müssen sich aktiv mit dieser Zielgruppe auseinandersetzen! Als Konsequenz muss das herrschende heteronormative und binäre System der WWH überdacht und angepasst werden! Die AG Queere WWH fordert deshalb einen möglichst inklusiven Zugang für Alle, die darauf angewiesen sind.
Um dich noch eingehender damit auseinanderzusetzen, wie die Forderungen in der Praxis umgesetzt werden können, lies das Positionspapier und verbreite es über sämtliche Kanäle!