Die Liste des Roten Kreuzes – und was dahinter steckt

Immer wieder werden wir gefragt, warum wir als in der Initiative Sommerpaket engagierte Basismitarbeiter_innen anonym bleiben wollen, warum wir nicht mit unseren Namen auftreten, warum wir unsere Gesichter nicht zeigen. Die Antwort ist hier im aktuellen Kontext einfach – Repression. Oder eben der Schutz vor möglicher Repression.

Organisieren an der Basis und unter erschwerten Bedingungen

Die Initiative Sommerpaket ist eine Plattform für Vernetzung und Austausch an der Basis der Wiener Wohnungslosenhilfe. Wir sind ein Sprachrohr von Basismitarbeiter_innen, die Kritik an Missständen in der Wiener Wohnungslosenhilfe üben. Die Grundlage für unser Engagement ist unsere tagtägliche Arbeit, in der wir mit den Folgen einer Politik konfrontiert sind, die gewisse Menschen, die hier sind, nicht hier haben möchte. Menschen, die wohnungslos sind, aber in Wien keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben, wird nur die allernötigste Hilfe gewährt.Damit sie nicht erfrieren”, wie es jedes Jahr aufs neue von SPÖ, Grünen und Trägern wie dem FSW oder der Caritas heißt. Ein minimales Provisorium, das nicht viel mehr als das physische Überleben im Winter gewährleisten soll. Eine Einschränkung sowie Beschneidung von Menschenrechten und eine Reduktion auf ein “blankes Leben”, der wir den Kampf erklärt haben. Jeder Mensch, der auf das Winterpaket angewiesen ist, verdient mehr als einen Schlafplatz!

Eine weitere Grundlage für unsere Arbeit als Kollektiv war von Anfang an die Auseinandersetzung mit unseren prekären Arbeitsbedingungen: Der Lohn ist gering, die Dienstverträge sind befristet, die Arbeitszeiten oft nachts. Die Befristungen, die den Bereich so stark prägen, begründen spezielle Abhängigkeitsverhältnisse zu den Trägerorganisationen, für die wir arbeiten. Durch das aktuelle Vorgehen des Wiener Roten Kreuzes wird die Willkür offensichtlich, der Angestellte im Winterpaket ausgesetzt sind. Gehe ich auf eine Kundgebung, die meiner Arbeitgeberin nicht passt, kann es sein, dass ich auf einer internen Liste lande und einfach nicht wieder angestellt werde.

 

Arbeiter_innenkämpfe sind prekär

Eine solche Organisierung im Lohnarbeitskontext ist grundsätzlich prekär – Chef_innen, die es begrüßen, wenn ihre Angestellten sich organisieren, gibt es doch eher selten. In einem solchen Klima Erfahrungen und Expertise laut und sichtbar an die Öffentlichkeit zu tragen ist mit Risiken verbunden. Dabei ist klar, dass verschiedene Kolleg_innen unterschiedliche Risiken eingehen, wenn sie sich in Basisorganisationen organisieren. Wir Basismitarbeiter_innen haben verschiedene Ausbildungshintergründe, unterschiedliche Aufenthaltstitel, eine Vielzahl an Sprachkenntnissen, manche von uns haben Betreuungspflichten, einige fühlen sich mit Direkten Aktionen wohler als andere und so weiter… Kurz gesagt: Manche von uns können einen möglichen Jobverlust verkraften, andere bringt ein solcher in ernsthafte, existenzielle Schwierigkeiten. Schon allein ein bewusster Umgang mit diesen Differenzen und das Anliegen, demokratisch-politische Teilhabe für möglichst viele zu ermöglichen, verlangt ein Auftreten im Kollektiv, um die Einzelnen ein Stück weniger der Gefahr durch Repression seitens der Arbeitgeber_innen auszusetzen. Da unser Bereich sehr komplex ist, ist Vielstimmigkeit für uns sehr wichtig, damit auch weniger präsente Themen und Perspektiven nicht untergehen.

Dass trotz der, nennen wir es Vorsichtsmaßnahmen, niemand vor Repressionen sicher ist, haben wir vor etwa zwei Monaten erfahren müssen. Unsere manchmal nicht ganz ernst genommenen Befürchtungen haben sich leider bestätigt, als Anfang September in der Bewerbungsphase für das diesjährige Winterpaket sieben Mitarbeiter_innen des Wiener Roten Kreuzes erfuhren, dass sie in der Wohnungslosenhilfe heuer und auch in Zukunft keine Anstellung mehr beim WRK bekommen würden. Klar ist, dass die Absage nichts mit der Qualität ihrer Arbeit zu tun hat – haben sie doch allesamt makellose Dienstzeugnisse erhalten – sondern vielmehr etwas mit der unterstellten Teilnahme an Kundgebungen der Initiative Sommerpaket und betriebsrätlichen Aktivitäten.

Diese skandalöse und inakzeptable sowie rechtlich wohl nicht haltbare und zutiefst demokratiefeindliche Maßnahme des Wiener Roten Kreuzes ist zwar, was den Angriff auf Angestellte betrifft, der bisherige Höhepunkt an Einschüchterungsmaßnahmen – zumindest von denen, die wir mitbekommen haben – gegen gesellschaftspolitisch engagierte Mitarbeiter_innen. Auch wenn sie in dieser Form nicht in jeder Organisation der Wohnungslosenhilfe wahrscheinlich ist, so ist die Repression nicht isoliert zu betrachten. Immer wieder hörten wir, wie darüber spekuliert und herumgefragt wurde, welche der “eigenen” Mitarbeiter_innen bei der Initiative Sommerpaket engagiert seien. Manchmal geschah dies sicherlich aus solidarischer Neugierde seitens inhaltlich wohlgesonnener Menschen verschiedener Leitungsebenen – andere Male aber auch aus Angst vor “Kontrollverlust” und möglichen Imageschäden. Wir mussten als Initiative quer durch alle Einrichtungen, geführt von verschiedenen Trägern, von Anfang an die Erfahrung machen, dass unser kritisches Nachfragen und unsere Vernetzungstätigkeiten auf Misstrauen und Skepsis stießen. Dass aber eine solche repressive Methode in diesem Ausmaß aufgefahren wird war für uns unvorstellbar. Methoden, die wir nur von Konzernen wie Amazon kennen, angewandt im Sozialbereich!

Kurzgesagt bedeutet das, dass wir nichts weiter als “unsere Arbeit machen” und bloß nichts in Frage stellen sollen. Von Teamleitung bis Bereichsleitung wird uns mit nachdrücklichen Bitten oder Anweisungen begegnet, keine sensiblen Angelegenheiten nach außen zu tragen, was auch immer das dann im Konkreten heißen mag. Auch das Nennen von Namen der Einrichtungen und ihrer Träger ist uns untersagt. Diese Regulierungen wird versucht, vertraglich zu gewährleisten. Sie zeugen von der Angst vor einem Imageschaden, der zur Folge haben könnte, dass sie vom Fördergeber eins auf den Deckel bekommen; dass sie keine Aufträge mehr erhalten oder zu schlechteren Konditionen. Aber auch von der Angst, dass sie Einbußen bei Spenden haben könnten, auf die der Bereich und die Einrichtungen angewiesen sind. Ein perfides Kontrollsystem.

 

Über Öffentlichkeitsarbeit Kontrolle ausüben

Um das zu vermeiden versuchen Trägerorganisationen, Diskurse zu beherrschen und so Kontrolle über Informationen auszuüben. Vor allem die Konkurrenzsituation am Spendenmarkt führt dazu, dass Öffentlichkeitsarbeit stark gegenüber der Basisarbeit aufgewertet ist. Aber auch um Aufträge des Fonds Soziales Wien wird unter den Trägerorganisationen konkurriert. Kritische Diskurse sollen intern geführt werden. Alles was nicht im vorgesteckten Rahmen passiert wird als Angriff gesehen, wie etwa der Brief von Obdach:Unterwegs zu Sicherheitsbedenken der Kälte-App, der nicht nur intern an die Chefitäten ging, sondern auch über Obdach hinaus Adressat_innen beim FSW fand. Oder auch Kritik, dass es an Schutzausrüstung im Rahmen von Covid-19 mangelt, dass die Sicherheitsregeln (Stichwort Babyelefant) in Notquartieren schier unmöglich zu gewährleisten sind. Nach außen soll es heißen, “es läuft alles”. Aber natürlich ist das nur eine produzierte Illusion, wie wir auch immer wieder thematisieren und kritisieren.

Auf der anderen Seite nehmen Journalist_innen die Presseaussendungen der Stadt Wien und der Trägerorganisationen oftmals unkritisch hin und reproduzieren sie in Presseartikeln. Zum einen entspricht das unhinterfragte Übernehmen nicht wirklich einer journalistischen Sorgfaltspflicht und zum anderen wird damit das von Trägern konstruierte Bild reproduziert. Strukturelle Probleme oder konkrete Politiken und strategische Entscheidungen werden nur vereinzelt zum Gegenstand kritischer Berichterstattung und verschwinden leider noch immer oft hinter vorweihnachtlichen Sozialreportagen.

 

Neoliberale Logiken finden Einzug in den Sozialbereich

Mit der zunehmenden Neoliberalisierung und Marktlogik sind im Sozialbereich grundsätzliche Verschiebungen im Umgang von Unternehmen mit Öffentlichkeit zu beobachten. Besonders freies Spiel haben die Träger aber mit Angestellten im Winterpaket der Stadt Wien, die für maximal sechs Monate ein Anstellungsverhältnis haben. Punktuelle Förderungen, wie sie auch das Winterpaket charakterisieren, sind dabei nicht nur ein “einmaliges Stadt-Wien-Modell”, sondern richtungsweisend bei den Entwicklungen von sozialen Dienstleistungen. Immer mehr wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften werden über Projektzeiträume realisiert, evaluiert und gegebenenfalls korrigiert, abgesägt oder velängert. So können kritische, unliebsame oder auch nach Profitlogiken nicht rentable Kolleg_innen einfach mit Beginn der nächsten Saison nicht wieder angestellt werden. Der Druck für Angestellte, in dem System möglichst durch alle Hürden unwidersprochen mitzuschwimmen, wird damit immer höher. Ein Ausscheren ist existenzbedrohend.

Ein besonders skandalöser Fall ist eben der aktuelle beim Wiener Roten Kreuz. War es früher noch so, dass die Träger einer Öffentlichkeit Rechenschaft über ihre Tätigkeiten und Ausgaben ablegen mussten, so ist die Transparenz zunehmend nicht mehr gegeben. Jede öffentliche Meldung wird kontrolliert (Stichwort “message control”) und muss ins Bild des Unternehmens passen, da jede negativ zu verstehende Information als Kriterium herangezogen werden könnte, einem Unternehmen einen Auftrag oder ein Projekt nicht mehr zu genehmigen, oder eben nicht zu diesen Konditionen. Die Wettbewerbsmentalität im Sozialbereich baut so Transparenz ab und schafft ein Klima von Generalverdacht, Angst und Austauschbarkeit. Wo das hinführt, sehen wir an dem aktuellen Fall.

 

Das Kreuz mit der Kritik

Es ist verwunderlich, dass unser Engagement so sehr vom Roten Kreuz torpediert wird, wo wir uns doch ganz grundlegend für adequate Arbeitsbedingungen und eine menschenwürdige Hilfe für Betroffene einsetzen. Es sind weder Betriebsgeheimnisse, die wir publik machen, noch hässliche Skandale, die wir ansprechen. Und trotzdem wird mit solch einer rigorosen und niederschmetternden Aktion reagiert. Das kann nur heißen, dass wir eventuell einen Nerv getroffen haben, und dass die Dinge, die wir wichtig finden, von Gewicht sind. 

Dass die Fragen, wie unfreiwillige Wohnungslosigkeit bekämpft werden kann, oder unter welchen Bedingungen Menschen arbeiten sollten, Teil einer offen geführten Debatte sein müssen, da sie sehr grundsätzliche, demokratiepolitisch relevante Fragen aufwerfen, sollte begrüßt, und nicht erstickt werden. Es sind aber Fragen, denen sich Trägerorganisationen nur ungern öffentlich stellen, da sie ein anderes Bild zeichnen als das durch die Öffentlichkeitsarbeit dargestellte. Das Bedürfnis nach Kontrolle dieses Diskurses ist trägerübergreifend sehr ausgeprägt. Diese Tendenz führt unserer Ansicht nach auch dazu, dass gesellschaftspolitische Fragen einem kritischen Diskurs immer mehr entzogen werden. Diskussionen über Menschenrechte, wie das Recht auf Wohnen, verkommen so immer mehr zu Betriebsgeheimnissen, über die man nicht zu sprechen hat.

 

Das bedeutet für uns…

Das Aufzeigen von Missständen und das öffentliche Eintreten für Verbesserungen sind der professionelle Auftrag aller im Sozialbereich Arbeitenden. Unsere Sichtweisen und Narrative, die wir in die Debatten tragen, entspringen unserer täglichen Arbeit an der Basis, dem Austausch mit von Wohnungslosigkeit Betroffenen, Erfahrungen aus unserem Arbeitsalltag, kollektiven Reflexionsprozessen und professionellem Austausch. Die vorhandenen Strukturen und der Aufbau der Wiener Wohnungslosenhilfe sehen nicht vor, unsere Sichtweisen in relevanter Form in Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen – und schon gar nicht die der wohnungs- und obdachlosen Menschen selbst. Solange die strukturellen Voraussetzungen dafür nicht geschaffen werden, müssen wir selbstorganisiert dafür sorgen, diese Perspektiven an die Öffentlichkeit zu tragen, um für dringend notwendige Veränderungen zu kämpfen.

Wie wir das genau anstellen, bestimmen wir!

Die Konflikt- und Kampffelder wählen wir!