Oft versteckt. Oft bedroht. Gewalt an wohungs- und obdachlosen FI*NTA stoppen

Gemeinsam mit mehr als 400 Genossis waren wir auf der Kundgebung zum internationalen Tag gegen patriarchale Gewalt am Platz der Menschenrechte. Wir haben ein Zeichen gesetzt gegen die herrschenden patriarchalen Verhältnisse und die Gewalt, die aus diesen hervorgeht. Im Redebeitrag von @encommun.at und uns, geht es um die spezifische Ausformung patriarchaler Gewalt, der FI*NTA in prekären Wohnverhältnissen und beim Leben auf der Straße aber auch in Wohnungsloseneinrichtungen begegnen. Obdach- und wohnungslose FI*NTA sind besonders stark von Gewalt betroffen, haben gleichzeitig jedoch kaum Zugang zum Gewaltschutz bspw. in Form von Frauenhäuser.

Das muss sich ändern! Wir fordern daher Zugang zu Gewaltschutz für alle Personen und Wohnraum für alle!

Den gesamten Redebeitrag könnt ihr hier nachlesen:

 

Wir wollen heute einen kleinen Einblick in die Wohnungslosenhilfe und die Gewaltschutzzentren Wien geben.
Patriarchale Gewalt und Wohnungslosigkeit stehen in einem extrem engen Zusammenhang. Einerseits führt patriarchale Gewalt oft zum Verlust des Wohnraums. Auf der anderen Seite sind wohnungs- und obdachlose FI*NTA Personen patriarchaler Gewalt in massivem Ausmaß ausgesetzt.
Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass Gewalt und Wohnungslosigkeit keine Charaktereigenschaften bestimmter Personen oder Personengruppen sind. Jede Frau oder queere Person kann in vergeschlechtliche Gewaltverhältnisse und Gewaltbeziehungen geraten, solange das Patriarchat besteht. Jede Person von uns kann in die Wohnungslosigkeit geraten, solange Wohnen kapitalförmig organisiert ist.

Feministische Bewegungen des letzten Jahrhunderts haben das Recht erkämpft, gewalttätige Partner*innen zu verlassen. Diese wichtige Errungenschaft spiegelt sich in Gesetzen wie dem Gewaltschutzgesetz und in Institutionen wie Frauenhäusern wieder. Diese Recht ist aber ein leeres Versprechen, wenn die materiellen Rahmenbedingungen dafür fehlen. Denn dann stellt sich die Frage: Wohin gehen?

Das bürgerliche Familienbild, demnach die Frau materiell abhängig vom Mann ist, wird immer noch weitgehend propagiert und systemisch gestützt. Eine Trennung beinhaltet, neben einer Armutsgefährdung oft mehrere komplexe rechtliche Fragen wie Scheidungsprozesse, Obsorgeverfahren und prekäre Aufenthaltsperspektiven.
Das sind alles Faktoren, die als Konsequenz den Zugang zu leistbarem Wohnraum bspw. in From von Gemeindewohnungen erschweren oder verhindern.

Insbesondere FI*NTA, die nicht über familiäre, soziale oder finanzielle Ressourcen in Österreich verfügen, stehen bei einer Trennung oft vor dem Nichts, manchmal mit Sorgeverpflichtungen und Verantwortung für mehrere Kindern. Die Angst davor, durch eine Trennung in eine neue, ungewisse Krisensituation zu geraten, erschwert den Bruch mit der Gewaltdynamik und führt auch nicht selten dazu, dass Betroffene zur gefährdenden Person zurückkehren.

Die Frage nach adäquaten, sicherem und zugänglichem Wohnraum ist als unmittelbar mit der Frage nach Schutz vor familiärere und Beziehungsgewalt verknüpft.

Frauenhäuser können hier nur vorübergehenden Schutz und Unterbringung gewährleisten: sie sind Kriseneinrichtungen und keine langfristigen Lösungen. Abgesehen davon schließen sie manche Personengruppen aus, wie bspw. suchtmittelkonsumierende Personen, Personen mit hohem Pflegebedarf oder Personen mit psychiatrischen Erkrankungen, die nicht medikamentös eingestellt sind. Damit haben obdach- oder wohnungslose FI*NTA Personen de facto keinen Zugang zu Frauenhäusern und zu adäquatem Gewaltschutz!

Wir beobachten außerdem häufig, dass gewaltbetroffene FI*NTAs zögern, ihre Erfahrungen bei der Polizei anzuzeigen, da sie oft nicht ernst genommen werden und ihre Erlebnisse hinterfragt oder normalisiert werden. Hinzu kommt die Angst vor einer Täter*innen-Opfer-Umkehr oder davor, selbst kriminalisiert zu werden. Viele Aspekte der Lebensrealität von obdach- und wohnungslosen Personen – wie das Verweilen an bestimmten Orten, Suchtmittelkonsum oder Sexarbeit – unterliegen einer rechtlichen Stigmatisierung. Besonders die Kriminalisierung der Sexarbeit und die damit einhergehende Verdrängung in Randgebiete erhöht das Gewaltrisiko enorm.
Aber selbst wenn Personen Zugang zum Frauenhaus bekommen, stellt sich nach der Unterbringung die Frage nach dem “wohin”?.

Bei Wohnungs- und Obdachlosigkeit von FI*NTAs wird meist von sogenannter “verdeckter Wohnungslosigkeit” gesprochen. Dies hat mehrere Gründe, die alle mit patriarchalen Strukturen zusammenhängen. Es bedeutet, dass die Betroffenen “alternative Lösungen” finden. Sie kommen oft solange es geht bei Verwandten oder Bekannten unter. Oftmals gehen sie gewaltvolle und ausbeuterische Zweckbeziehungen bzw. Abhängigkeitsverhältnisse ein, um im Gegenzug einen Platz zum Schlafen oder Wohnen zu erhalten. Es sind auch hier die patriarchalen Strukturen im Hilfesystem, welche die grundlegenden Missstände verursachen:
Ergo: Wohnungsloseneinrichtungen werden weitgehend noch immer nicht den Bedürfnissen von FI*NTAs gerecht!

Es handelt sich dabei nach wie vor um cis männlich dominierte Räume und damit um Orte, die keinen Schutz vor patriarchaler Gewalt bieten können. Das hat zur Folge, dass die Wohnungsloseneinrichtungen weniger von FI*NTA Personen genutzt werden und Personen somit weniger in den Statistiken der Einrichtungen aufscheinen. Dies wiederum wird als fadenscheiniges Argument verwendet um die Angebote nicht auszubauen, obwohl der Bedarf besteht. Erhebungen des BAWO Frauenarbeitskreises und viele andere bestätigen:
FI*NTA-spezifische Angebote werden angenommen, wenn es diese gibt!

Hier ein aktuelles Beispiel aus der Wohnungslosenhilfe: Im Chancenhaus Rossauer Lände, das erst dieses Jahr geöffnet hat, wurde ein Bereich mit 14 Plätzen, der für Frauen vorgesehen war, nach kurzer Zeit einfach zu einem Männerbereich umfunktioniert, da das Stockwerk “nicht schnell genug belegt wurde”. Somit fielen die Frauenplätze einfach weg. Das ist besonders zynisch angesichts der Tatsache, dass zeitgleich einer der wenigen Frauen-Notplätze für nicht anspruchsberechtigte Frauen im Haus Miriam (stationär betreutes Wohnen) gestrichen wurde. Das mag nach nicht viel klingen, ist aber im Verhältnis zur gesamten Zahl frauenspezifischer Angebote leider ein beträchtlicher Teil, zumal jeder Platz wichtig und notwendig ist. Vor dem Tageszentrum Ester etwa schlafen regelmäßig Nutzer*innen, weil es nicht genügend Schlafplätze gibt. Sie sollen wegen Beschwerden von Anrainer*innen jetzt von Streetwork und Polizei vertrieben werden.

Ein extremes Defizit herrsch vor allem auch bei der Unterstützung wohnungs- und obdachloser LGBTI*QNA+ Personen. Für sie gibt es momentan quasi kein spezifischen Angebot. Sie sind neben Queerfeindlichkeit durch andere Nutzer*innen und Mitarbeitende auch durch die Strukturen der Einrichtungen massiver Diskriminierung ausgesetzt. Denn die meisten Einrichtungen, können nur nach Zuteilung in die binären Geschlechter genutzt werden. Tatsächlich gibt es derzeit in Wien nur 1 Platz in einem Notquartier, der explizit für TI*N (also trans, inter* und nicht binäre) Personen vorgesehen ist. Ansonsten ist der Zugang und die Unterstützung an die Willkür des Personals geknüpft, welches oft nicht ausreichend sensibilisiert und geschult wird. Somit sind bestehende Angebote nicht adäquat für queere obdach- und wohnungslose Personen!

So entwickelt sich eine Dynamik im Gewaltschutz- und Wohnungslosenbereich, in der gewaltbetroffene Queers und Frauen von einer Einrichtung zur nächsten geschickt werden, um hier als “nicht Zielgruppe” und dort als “zu herausfordernde Zielgruppe” weiterverwiesen zu werden. Sie werden somit strukturell in verdeckte Wohnungslosigkeit und patriarchale Gewalt gedrängt. Diese Verdrängung und dies mangelnde Verantwortungsübernahme sind gefährlich! Sie gehen auf Kosten der besonders vulnerablen unter uns!

Der Kampf um unsere Lebensgrundlage in Form von Wohnen, um unsere Autonomie und unsere Sicherheit ist ein geteilter Kampf aller!
Wir fordern Verantwortungsübernahme!
Wir fordern Zugang zu Gewaltschutz für obdach- und wohnungslose FI*NTA Personen!
Wir fordern sicheren Wohnraum für alle!