Alle Jahre wieder: Das Winterpaket startet chaotisch; sehr zum Leid der Betroffenen, um die es eigentlich gehen sollte. Einmal mehr bestimmen Unsicherheit, die Kurzfristigkeit und Einsparungen unseren Arbeitsalltag. In diesem Artikel wollen wir einen Überblick geben, was sich zu Beginn dieser Saison verändert hat und wie herausfordernd diese Saison gleich von Beginn an ist.
Geschlossene Häuser
Der „Pavillon 8“ (Pav 8) war ein Notquartier, das sich auf dem Gebiet des geschlossenen Krankenhaus Hietzing befand. Unter den Nächtigern hatte es einen sehr schlechten Ruf. Es war ein Massenquartier, wo an die 200 Menschen schliefen, am Rande der Stadt, das öffentlich nur sehr schwer erreichbar war. Für die Anzahl der Menschen und die Größe des Quartiers waren viel zu wenig Mitarbeitende pro Schicht eingeteilt. “Ruhe & Ordnung” haben Securities durchgesetzt. Es kam regelmäßig zu Eskalationen. Im ersten Lockdown Frühjahr 2020 wurde der Komplex unter Hausarest gestellt und von der Polizei kontrolliert. Viele Substitutionsabhänige kamen nicht zu ihren Medikamenten. Wiederholt wurde von gewalttätige Übergriffen von Seiten der Security berichtet. Diesen Sommer kam es zumindest zu einer Anzeige gegen einen vermeintlich übergriffigen Secutiy-Mitarbeiter. Es verwundert nicht, dass manche Menschen lieber draussen in der Kälte als in solch einem Notquartier schlafen. Heuer macht das vom Johanniter betriebene NQ nicht wieder auf. Doch damit sind die Probleme nicht aus der Welt geschaffen. Die Geschichte des “Pavillion 8” zeigt, zu welchen Herausforderungen es durch Personalmangel, wenig Platz und zuviele Nächtigern kommen kann – ein Gemengenlage, die allen Basisarbeiter*innen des Winterpakets bekannt sein dürfte. Zynischerweise wurde gerade wegen Pav 8 das Winterpaket nicht mit zusätzlichen Betten ausgebaut. Die Stadt Wien putzte sich ab, mit der Aussage, es gäbe ja freie Betten. Dass alle anderen NQs trotz Pandemie oft zu voll waren, war da kein Problem.
Auch die “Gudi”, das Notquartier Gudrunstraße, wird nicht wieder aufsperren. Letzte Saison gab es dort massive Proteste. Die Proteste richteten sich gegen die u.a. Unterbesetzung, Überbelegung sowie der Tatsache, dass keine adäquaten Schutzmaßnahmen, getroffen wurden. Das mündete in einem großen Corona-Cluster, bei dem Bewohner gleichermaßen wie Angestellte betroffen waren. Seitens des FSW wurde versprochen, das Quartier zu sanieren und mit geringerer Bettenanzahl weiterzuführen – ein weiteres gebrochenes Versprechen! Bis heute fanden keine Bauarbeiten statt. Die Verantwortung für dieses Scheitern wird dabei immer weitergereicht: Vom Samariterbund, der das Quartier betrieben hat, zum FSW als Geldgeber, und schließlich zu Wiener Wohnen, die den Gemeindebau der Gudi verwaltet. So oder so wird die “Gudi” nicht mehr aufsperren. So oder so bleibt damit die letzte Einrichtung, die noch halbwegs leicht mit Öffis erreicht werden konnte, geschlossen.
Verdrängung aus der Stadt
Neue Quartiere entstehen ausschließlich am Stadtrand und in Gebieten, die öffentlich schwer zu erreichen sind. Das führt zu der paradoxen Lage, dass Wien sich auf der einen Seite damit rühmt, die Stadt in Österreich mit der besten Versorgung für Wohnungslose zu sein. Auf der anderen Seite gibt es in den inneren Bezirken (innerhalb des Gürtels, wo knapp eine Million Menschen wohnen) nur noch ein Notquartier – die altehrwürdige Gruft der Caritas, die vorwiegend über Spenden finanziert wird und nur für sog. Anspruchsberechtigte (also Menschen mit SV-Nummer) zugänglich ist.
Die Politik der Standortwahl ist ein Akt aktiver Verdrängung. Aber auch der kapitalistische Verwertungsdruck, wo zentrumsnahen Immobilien höhere Gewinne abzuwerfen, beschleunigt diese Entwicklung. Dass in so einem polierten Stadtbild jegliche sichtbare Armut ein Störfaktor ist, der an dem “Lebenswerteste Stadt”-Image kratzt, ist ein weiterer Faktor, der obdachlose Menschen zu Problemen macht. Und diese sollen nicht-sichtbar bleiben.
Anhaltende Gesundheitsgefährdung
Zwar gibt es neben Massenquartieren mit dutzenden Menschen in einem Raum, mehr und mehr Einzel- und Doppelzimmer, trotzdem bleibt der Standard Massenquartiere mit vielen Mehrbettzimmern oder Sääle mit Schlafkojen. Solch eine Situation für armutsbetroffene Hochrisikogruppen ist skandalös und nicht hinzunehmen. Besonders, dass das im zweiten Jahr der Pandemie immer noch die Norm ist, lässt uns verzweifelt den Kopf schütteln. Immer noch blicken wir auf die nach wie vor leerstehenden Hotels, die zumindest kurzfristig, eine saubere, sichere und verträgliche Alternativen anbieten würden.
Leider kommt es unter diesen Umständen immer wieder zu Corona-Clustern. Der aktuelle Fall eines ausgebrochenen Corona Clusters im Notquartier Winkeläckerweg im 21. zeigt, dass trotz sog. “hohen Standards” wir nicht vor dem Virus geschützt sind. In diesem Cluster sind sowohl Nächtiger als auch Mitabeiter*innen betroffen. Einmal mehr funktioniert die Absonderung nur mühsam. In einem Fall wurde ein Test übersehen, der Nächtiger wurde erst eine Woche nach seiner Testung in Quarantäne gebracht. In einem anderen Fall mussten Nächtiger stundenlang draussen in der Kälte auf die Rettung, die sie absonderte, warten. Genauso wie wir es im Fall des NQ Gudrunstraße bereits erlebt haben, wird unsere Gesundheit tagtäglich aufs Spiel gesetzt während die Entscheidungsträger*innen in ihren Home Offices sitzen.
Kurzfristigkeit
Einmal mehr werden Entscheidungen sehr kurzfristig getroffen, bewusst wird damit das Chaos auf Kosten von Mitarbeitenden und Betroffenen in Kauf genommen. Uns ist klar, dass die Situation überfordernd ist und auch organisatorisch alle vor Herausforderung stellt. Doch gerade da ist ein zeitlich gut abgestimmtes, sowie durchgeplantes Vorgehen umso mehr von Nöten. Dass das nicht möglich ist spricht für die Unfähigkeit der Verantwortlichen, die sich auf die Kosten der Angestellten und der Betroffenen überträgt.
Schon immer war das Winterpaket ein Provisorium, ein Notnagel. Jedes Jahr ließ sich der FSW schon fast rituell vom Kälteeinbruch im Jänner überraschen. Hektisch wurden zusätzliche Betten gesucht, um Kältetote zu vermeiden. Durch Corona hat sich die Lage verschlimmert. Alle Quartiere sind bis Ende April befristet, alle Quartiere wurden 2020 und 2021 bis Anfang August verlängert (außer es gab zuviel Protest wie in der Gudi), ein paar wenige wurden sogar durch Spenden (Caritas) ganzjährig geführt. Die Entscheidungen fallen immer sehr kurzfristig. Wir als Basisarbeiter*innen und die Nächtiger*innen erfahren erst wenige Wochen davor, ob ein Quartier geschlossen wird, ob es weitergeführt wird, ob es nur in der Nacht oder ob es 24 Stunden offen hat.
In dieser Saison reichte die kurze Planungsphase für ein Quartier nicht aus. Das NQ Haidehof sollte eigentlich – wie alle anderen Quartiere – im November aufsperren. Doch mit dem Einstellen von Mitarbeitenden und das Finden einer Leitung wurden zu spät begonnen. Es öffnete erst mit Anfang Dezemeber seine Pforten und das unterbesetzt. Dank der fehlenden langfristigen Planung des FSW mussten über 100 Menschen so ein Monat lang bei Temperaturen um den Gefrierpunkt schauen wo sie bleiben.
Die Überlastung bekommen auch andere Quartiere zu spüren. In der Gänsbachergasse sollte eigentlich ein LGBTIQ* Notquartier öffnen. Doch durch den akuten Platzmangel wurden viele Cis-Männer dort zugewiesen. Abermals wurde organisatorisches Versagen auf Kosten einer extrem marginalisierten Gruppe unter den Wohnungslosen abgewälzt.
Fazit
Einmal mehr steht die angehende Saison unter den Stern der Pandemie und damit gesundheitlicher Gefährdungen und Herausforderungen. Trotz etlicher Evaluierungen, ein Lieblingswerkzeug des FSW um “Qualität” zu erheben und – man könnte meinen – einem großen Erfahrungsschatz aus 2020/2021, startet das Winterpaket unter Führung des FSW in einem großen Chaos. Auch wenn uns das nicht (mehr) überrascht, bleibt es doch jedes Jahr aufs neue erschreckend, wie provisorisch und ohne Plan gehandelt wird. Dass wir uns vor einer anbahenden wirtschaftliche Krise befinden, von der wir in Form von vermehrten Delogierungen von Armutsbetroffenen erst fürhe Anzeichen bemerken, lässt uns nicht allzu optimistisch für die nahe Zukunft stimmen.
Die Lage ist eindeutig. Wir tragen diese Pandemie seit fast 2 Jahren. Seit fast 2 Jahren wird diese aber von den Entscheidungsträger*innen verschleppt. Und wir sind müde. Für uns ist es klar, dass wir langfristige Lösung brauchen für die zahlreichen prekären Obdach- und Wohnungslosen. Unter diesen Bedingungen können wir auch kaum langfristig arbeiten.
Das bedeutet umso mehr, wie wichtig unsere Organisierung an der Basis ist und dass wir weiterhin dafür kämpfen werden bis alle Menschen ein Recht auf ein würdiges Leben haben! Wir als Basismitarbeiter*innen wollen nicht mehr diese mangelhafte Politik ausbaden, die auf unseren und den Rücken unserer Klient*innen ausgetragen wird!
Deswegen: Hotels Auf! Leerstand Enteignen! Wohnraum schaffen!
Neben den Trägern, sparen die sog. Hilfsorganisationen an allen Ecken und Enden an Personalkosten.
Prekäre, befristete Arbeitsverträge und unzulässige Kettenarbeitsverträge werden abgeschlossen um wenig Kosten für Basisdienstleistungen entstehen zu lassen. Natürlich wird sich dabei auch möglichst an den Fördertöpfen von anderen Institutionen gütlich getan. Es werden langzeitarbeitslose Menschen eingestellt um Wiedereingliederungsgelder zu erhalten und nach 10 Monaten gekündigt. Danach erscheint unser Arbeitsminister und kündigt Sparmaßnahmen an oder senkt die Bezüge der Notstandshilfe.
So erhalten sich die privilegierten Mitarbeiter mit Festvertrag ihre eigene, gut bezahlte Anstellung, während die Basisangestellten früher oder später, Kunden in den Einrichtungen werden, die sie selbst einmal betreut haben.
Zum Jahresabschluss dann feiert man sich und seine sozialen Dienste im Rathaus Wien bei Ente und Wein während der Nikolaus für die wirklich Hilfsbedürftigen eine Dose Gulaschsuppe bereithält.