Stellungnahme: Zum Todesfall im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände

Wie medial berichtet starb in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni ein 58 Jahre alter ungarischer Staatsangehöriger in  Schubhaft. Der Fall ist eine menschliche Tragödie und die Umstände des Todes müssen unbedingt aufgeklärt werden! Hier schließen wir uns vollinhaltlich den Forderungen der Diakonie nach unabhängiger und lückenloser Aufklärung der Umstände an.

Jedoch darf die Tragik des Einzelfalls nicht bloß individualisiert, mehr oder weniger als Verkettung unglücklicher Umstände, oder als individuelles Versagen der einen oder anderen zuständigen Stelle betrachtet werden. Es geht darüber hinaus darum, danach zu fragen, wer dieser Mann war, was seine Geschichte war und was dazu geführt hat, dass sein Leben auf diese tragische Weise im PAZ Rossauer Lände ein Ende nahm. Es geht darum, auf die strukturellen Mängel und Lücken in der Versorgung von Personen mit multiplen Problemlagen aufmerksam zu machen.

Herr M. lebte seit Jahren wohnungslos in Wien. Als sogenannter „Nichtanspruchsberechtigter“, ohne Versicherung, konnte er zumindest in den Wintermonaten in Notschlafstellen der Wiener Wohnungslosenhilfe übernachten. Auch bis zu seiner Festnahme und Überstellung in das Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände hatte er einen Schlafplatz in einer der wenigen Notschlafstellen, wo sogenannte „Nichtanspruchsberechtigte Personen“ die Nacht verbringen können. Aufgrund der sehr begrenzten Anzahl an Schlafplätzen für diese Personengruppe während der Sommermonate erhält lediglich ein kleiner Teil derjenigen einen Schlafplatz, die als am gefährdetsten angesehen werden. Wir fordern seit längerem, dass das Angebot an Schlafplätzen, die die Stadt Wien im Winter zusätzlich finanziert, auch während der Sommermonate bestehen bleiben soll! Auch weniger gefährdete Personen, die im Sommer in Wien auf der Straße schlafen müssen, sollen zumindest einen Platz in einem Notquartier haben.

Herr M. war in einem schlechten Allgemeinzustand und hatte massive medizinische Probleme. Sein Alltag war gekennzeichnet durch die für ihn sehr beschwerlich zurückzulegenden Wege zwischen Notschlafstelle, Tageszentrum und fast täglichen Terminen in einer medizinischen Einrichtung, in welcher er trotz fehlender Versicherung und fehlendem Anspruch auf Sozialleistungen wichtige medizinische Unterstützung bekam. Viele Personen kannten und mochten ihn. Und vielen dieser Personen war auch schon vor seinem tragischen Tod im Polizeianhaltezentrum bewusst, dass Herr M. ein umfassenderes Angebot gebraucht hätte – sowohl medizinisch als auch die Unterbringung betreffend. Ein solches Angebot gibt es für Menschen in seiner Notlage jedoch leider nicht bzw. nicht in ausreichender Form.

Konkret bräuchte es für Menschen wie Herrn M., deren Gesundheitszustand derart schlecht ist, Einrichtungen, in denen sie sich ganztägig aufhalten und auch Pflegeleistungen in Anspruch nehmen können und wo Barrierefreiheit gewährleistet ist. Ein Platz in einem Alters- oder Pflegeheim wäre unserer Ansicht nach notwendig gewesen. Dies gibt es jedoch nicht für Personen ohne „Anspruchsberechtigung“. Jahrelange Wohnungslosigkeit geht oft einher mit massiven körperlichen Belastungen und Problemen. So täuscht das Alter von 58 Jahren auch leicht hinweg über den tatsächlichen physischen Zustand. Man kann sich das im Fall von Herrn M. ungefähr so vor Augen führen, dass er unter anderem wegen seiner Lungen- und Fußprobleme für ein Wegstück von 50 Metern mehrere Pausen einlegen musste und sich nur sehr langsam und beschwerlich fortbewegen konnte. Gerade Wohnungslose zählen in unserer Gesellschaft zu den gefährdetsten Personengruppen, unter anderem in Bezug auf Krankheit.

In diesem Zustand wurde Herr M. von der Polizei angehalten und kam von einem Platz in einem Notquartier, wo er sich zumindest in den Nachtstunden etwas ausruhen und ein bisschen stabilisieren konnte, ins Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände. Das tragische Ende seines Lebens kennen wir. Auch stellt sich daran anknüpfend die Frage, was nach seiner Abschiebung aufgrund seines rechtlichen Status an die ungarische Grenze mit Herrn M. in seinem schlechten und auf medizinische Hilfe angewiesenen Zustandes weiter hätte passieren sollen? Hier liegt auch unsere menschliche Verantwortung!

Diese eben beschriebenen Umstände betreffen nicht nur Herrn M., sondern viele Menschen die von Wohnungslosigkeit betroffen sind und mit zunehmendem Alter verschiedene oftmals massive gesundheitliche Probleme entwickeln. Dass es hier einen Bedarf gibt, der nicht gedeckt wird, ist vielen sehr bewusst, die in der Wohnungslosenhilfe tätig sind. Dieses fehlende Angebot stellt ein strukturelles Versagen bei der Betreuung und Versorgung von Personen wie Herrn M. dar und muss ebenso mit in die Verantwortung genommen werden. Dass Herr M. auf diese tragische Weise in Polizeigewahrsam gestorben ist, ist nur die traurige Zuspitzung von unzureichender Unterstützung und Versorgung von Personen wie Herrn M.

Dieser Fall darf sich nicht wiederholen! Gleichzeitig ist uns jedoch sehr bewusst, dass sich dies in der derzeitigen prekären Unterbringungs- und Versorgungslage für akut gefährdete wohnungslose Personen mit gesundheitlichen Problemen jederzeit wiederholen kann. Dieser Missstand muss behoben werden.

Wir fordern für alle Bewohner_innen Wiens, unabhängig von ihrem Rechtsanspruch auf Sozialleistungen, ganzjährige Unterkünfte mit einem angemessenen Standard für ein menschenwürdiges Leben und eine adäquate und an den jeweiligen Bedürfnissen orientierte Versorgung!

Initiative Sommerpaket

 

 

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