Die Initiative Sommerpaket ist zurück. Das könnte eigentlich ein Grund zur Freude sein. Leider sind die Gründe alles Andere als erfreulich.
Nachdem die ganzjährige Öffnung der Winternotquartiere während der Pandemie erkämpft wurde, mussten sie diesen Sommer bereits zum zweiten Mal wieder ihre Pforten schließen. Damit wurden ca. 850 Menschen auf die Straße gesetzt, sozialarbeiterische Beziehungen gekappt und eine große Menge an Mitarbeiter:innen entlassen. Diese Schließungen treffen besonders vulnerable Personengruppengruppen- nämlich zumeist Menschen mit psychischen Erkrankungen und Leute, die weder eine österreichische Staatsbürgerschaft noch eine Versicherung haben.
Diese Situation ist unerträglich und wir möchten das nicht unkommentiert stehen lassen.
Daher waren wir als Initiative Sommerpaket am ersten Mai bereits auf der Straße und haben auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. Am dritten Mai – am Tag nach den Schließungen der Notquartiere – organisierten wir zudem eine Demonstration vor dem Wiener Rathaus, inklusive Abschiedsgeschenk in Form von Matratzen, welche die weggefallenen Plätzen symbolisieren sollten.
Da uns wichtig ist, zu zeigen, dass die Situation in der Wiener Wohnungslosenhilfe keine Randerscheinung ist, sondern ein linkes Kernthema, vernetzen wir uns mit verschiedenen Akteur:innen und verbinden aktuelle Kämpfe.
Falls ihr am ersten Mai nicht zur Demo kommen konntet, könnt ihr unseren Redebeitrag unten nachlesen. Darin beschrieben zwei Genoss:innen von ihren Erfahrungen in der Wiener Wohnungslosenhilfe.
Insta: initiative_sommerpaket
**************************************************************************Heute am 01. Mai stehen wir alle gemeinsam hier, um gegen Kapitalismus und Ausgrenzung und für eine solidarische Welt zu kämpfen.
Heute reden wir über Wohnungslosigkeit.
Wohnungslosigkeit ist keine abstrakte Randerscheinung und kein Nebenwiderspruch. In kaum einem Feld treffen kapitalistische, nationalistische und patriarchale Ausgrenzungspolitik mit einer derartigen Wucht zusammen, wie in der Lebensrealität wohnungsloser Menschen.
Sehr Vereinfacht: Ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld keine Wohnung und damit zB auch Möglickeit eine Gewaltbeziehung zu verlassen, ohne Wohnung auch keine Arbeit und ohne Arbeit im schlimmsten Fall: Abschiebung.
Schon morgen, am zweiten Mai endet das sogenannte Winterpaket, damit schließen auf einen Schlag (Zahl) Notquartiere, und damit werden (Zahl) Menschen schlagartig auf die Straße gedrängt.
Während der Besetzung des Audimax 2009, fiel auf, dass der von Stundent:innen besetzte Raum viel von Obdachlosen Menschen genutzt wurde, die nicht wussten, wo sie sonst schlafen können. Kurze Zeit später öffnete das erste Winternotquartier, und über die Jahre wurde der Bedarf an Quartieren sichtbarer und sukzessive das sogenannte Winterpaket geschnürt.
Dies beinhaltete ursprünglich das klare Ziel niederschwelligen Schutzraum für Menschen zu schaffen, die in Verwaltungsdeutsch nicht Anspruchsberechtigte genannt werden. Das bedeutet übersetzt Menschen, denen auf Grund von Fristen, Bundesländergrenzen oder Aufenthaltsstatus der Zugang zu Sozialleistungen verwährt wird.
Winterpaket bedeutet dass dem Bedarf von aktuell (Zahl) Schlafplätzen real (Zahl) Schlaplätze entgegengesetzt werden, die von Anfang November bis Ende April zur Verfügung stehen.
Mensch darf sich an dieser Stelle aber nicht vorstellen, dass die Leute von diesem Zeitpunkt an den Komfort einer Wohnung genossen hätten.
Als ich vor 5 Jahren anfing als Betreuer_in in einem Winternotquartier zu arbeiten, sperrten wir um 18 Uhr die Türen auf, und mussten die Leute bis 8:00h morgens wieder auf die Straße gesetzt haben. Unabhängig von ihrem körperlichen oder psychsischen Zusatnd.
Vielleicht erinnern sich einige von euch an die ersten Tage und Wochen der Pandemie und umfassender Lock Downs. Vielleicht erinnert ihr euch, wie zu dieser Zeit die Wohnungslosen die einzigen waren, die auf der Straße anzutreffen waren, wenn wir zum Supermarkteinkauf die Wohnung verliessen. Einige von ihnen kamen abends mit Strafbescheiden über 1500 Euro für das Sitzen auf einer Parkbank in die Quartiere, bevor schließlich auf 24h Betrieb umgestellt wurde.
Seitdem dürfen die Nächtiger_innen 24h in den ihnen zugewiesenen Quartieren verbringen. Das ist dann ein bisschen eine Lotterie ob Mensch sich dort in einem 2 oder 60-Bett-Zimmer wiederfindet. In einem Quartier (von ZAHL) das mir bekannt ist gibt es Einzelzimmer.
Wer genau aufgepasst hat, hat vielleicht vorhin gemerkt, dass die Zahlen von Bedarf und Angebot nicht übereingestimmt haben, das wird von Entscheider_inenseite so erklärt, dass einige Menschen schlicht auf der Straße schlafen wollen würden. Der Mythos vom anpassungsunfähigen Landstreichertypus wird bemüht. Ich möchte an dieser Stelle meine Hand dafür ins Feuer legen, dass kein Mensch gern auf der Straße erfriert, und doch dies zu denken geben:
Etwa 70 Prozent der Wohnungslosen die wir betreuen leiden unter 2 oder mehr psychologischen Diagnosen. Mensch kann von Diagnosen halten was man will, aber stellt euch bitte einmal vor wie es einem Menschen geht, der zum Beispiel Paranoid-Schizophren und Suchtkrank ist und am Tag nicht eine Minute in einem privaten, sicheren Raum mit sich selbst verbringen kann.
2021 habe ich im 21. Bezirk in einem Quartier des ASB gearbeitet: Die alljärliche Kältewelle, kam wie erwartet und Planung wäre möglich gewesen. Trotzdem würden uns in einer unabgesprochenen Hau-Ruck-Aktion über Nacht 25 neue Plätze aufgedrückt, und das ohne zusätzliches Personal. Die ungeschulten Securities mal ausgenommen. Die “Inbetriebnahme” dieser zusätzlichen Plätze wurde jedoch Medial breit kommuniziert und unter anderem mit ORF-Filmteam begleitet. Ich erzähle das einerseits weil es die Wertschätzung der Menschen die in diesen Quartieren leben und arbeiten gut illustriert. Andererseits, um zu verdeutlichen, dass es sich hier eben um Notquartiere handelt, die aus einer Not heraus genutzt werden und nicht, weil hier nachhaltige Hilfe organisiert wird.
Es lässt sich also so zusammenfassen: Die Unterbringung unserer Klienten ist im Großen und Ganzen ein Marketing-Coup: Wir verhindern, dass die Menschen im Winter öffentlichkeitswirksam auf der Straße erfrieren, und als angenehmer Nebeneffekt findet unser Klientel nicht im Sichtbaren Bild der Stadt, also den inneren Bezirken statt.
5 Jahre habe ich nun mit angeschaut, wie sich Menschen in 6 Monaten in unterschiedlichsten Quartieren mit der allernotwendigsten Infrastruktur einigermaßen berappeln können, bevor wir sie wieder auf die Straße setzen. Und wie sie nach dem Sommer auf der Straße merklich gealtert, kränker und frustrierter wiederkommen.
Wer noch genauer aufgepasst hat, hat auch bemerkt, dass ich Nächtiger_Innen vorher gegendert habe. Bitte nicht ärgern.
Ich arbeite zwar derweil in einem reinen “Männerquartier”, allerdings sind bei weitem nicht alle Menschen die dort Leben Männer. Die Zuweisung folgt nach dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht, was dazu führt, dass bei uns im Quartier auch Frauen und nicht binäre Personen leben, die natürlich in nochmal mehr Bereichen Diskriminierung erfahren.
Im Angebot des Winterpakets verschwinden diese Menschen gänzlich. Von aktuell (Zahl) Nächtigungsplätzen entfallen gerade einmal (Zahl) auf Frauen und (Zahl) auf Pärchen. Für Menschen ausserhalb dieser Kategorien, also Nicht-Binäre und Queers etwa gibt es gar keine Angebote. Im Jahr 2021 gab es ein Quartier, dem am Anfang des Winterpakets LGBTQI*-Quartier auf die Fahnen geschrieben wurde. Die Realität sah so aus, dass die 60 Plätze die vorgesehen waren wegen mangelnder Kommunikation über das Angebot und wegen dem Fehlen spezifischer Angebote für die Zielgruppe am Ende zum größten Teil wieder von Männern besetzt war. Auch die Ausrufung eines LGBTQI*-Quartieres am Ende also ein reiner Publicity-Stunt.
Die viel zu wenigen Plätze für Frauen werden von Entscheider_innenseite damit begründet, dass “Frauen Angebote schlechter annehmen würden”, das alte Argument von unsichtbarer Obdachlosigkeit wird bemüht, und das Frauen einfach lieber in dysfunktionalen Beziehungen bleiben würden, als Beratungs- und Unterbringungsabgebote wahrzunehmen. Natürlich stimmt das im Anschauungsfall, aber die Strukturalität der Problematik wird bei diesen Aussagen unterschlagen: Ich habe mich 2022 im NQ Nord beworben. Dies ist ein Quartier ganz weit draussen in einem Industriegebiet im 22. Wiener Gemeindebezirk. Hier “wohnten” im Jahr meiner Bewerbung 80 Menschen, davon 60 Männer und 20 Frauen. Im oberen Stock ist das Männerwohnheim, ein Raum in dem 60 Männer in Holzbuden mit wänden zu 3 Seiten Dicht an Dicht schlafen – im übrigen eine brandschutztechnische Katastrophe – während die 20 Frauen im Keller, hinter dem angeschlossen Tageszentrum, in einem versperrten Raum mit Kamreaüberwachter Tür untergebracht sind. Hinter diesem Raum sind noch die Duschen für die Männer, die dann den ganzen Tag zu ihren Duschterminen durch diesen “Schutzraum” laufen.
In einem Land in dem allein bis zu diesem Tag (Zahl) Frauen femiziden zum Opfer gefallen sind, das sich eine bekennende “nicht-Feministin” zur Frauenministerin gemacht hat, und in dem Mensch Gewaltschutzkonzepte vergeblich sucht, sollten wir uns schämen die Verantwortung für diese Strukturellen Probleme auf individuelle Frauen abzuwälzen.
Die Frauenhäuser sind permanent ausgelastet, die Polizei ist nach wie vor kaum auf häusliche Gewalt sensibilisiert und reproduziert Gewalt nicht selten bei ihren Einsätzen.
Was wir also hier haben ist die sogenannte Wahl zwischen Pest und Cholera. Bleiben wir beim Beispiel der “dysfunktionalen Beziehung”. Hier habe ich als Frau also die Wahl: Bleibe ich in meinem Zuhause in dem ich vor ein Paar Gefahren geschützt bin einem Täter ausgeliefert, oder begebe ich mich in ein System in die es absolute keine Garantie dafür gibt, dass es nicht die selbe Partriarchale Gewalt reproduziert, und setze mich am Ende der Willkür von nicht nur einem sondern 60 Männern die mit mir leben aus.
Wer die Reaktion auf diese Strukturellen Begebenheiten als Wahl darstellen will, macht sich mitschuldig und hat ganz offensichtlich völlig aufgehört mit Anderen zu fühlen. Wenn überhaupt ist das Fernbleiben der Frauen von dieser Art “Angebote” als deutliche Evaluation zu betrachten, über die Qualität und Angemessenheit der Infrastruktur.
Diese morgigen Schließungen betreffen vorzugsweise besonders vulnerable Menschen: nämlich Menschen ohne Österreichische Staatsbürgerschaft, Menschen ohne Versicherung, nicht-ansoruchsberechtigte, Menschen mit Suchtkrankheiten, oder anderen formen psychischer Krankheiten. Diese Leute werden jeden Sommer ab dem zweiten Mai aus ihren Strukturen gerissen und auf die Straße gesetzt, bzw. Ihnen ans Herz gelegt, sie mögen doch in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Jene Einrichtungen, die das Glück haben, offen bleiben zu können, sind plötzlich mit einer größeren Zahl an Hilfesuchenden bei gleichbleibenden Ressourcen konfrontiert und zusätzlich belastet.
Aber die Schließungen betreffen auch (zahl) Mitatbeiter:innen – von Betreuer:innen bis Sozialarbeiter:innen – die Jahr für Jahr ihre Arbeit verlieren. Mehr noch: Wir, die wir von den Schließungen betroffen sind, müssen unsere Klient:innen nicht nur auf die Straße setzen, sondern zuvor auch Listen anfertigen, wer Vulnerabel genug ist, um über den Sommer doch die Chance auf eine Zuweisung zu erhalten, und bei wem die Chancen besser sind, einige Monate auf der Straße zu überleben.
Eine absurde Entscheidung!
Da die Menge an Betten auch in den Wintermonaten schon nicht reicht, ist die
Situation ab morgen natürlich besonders prekär.
Weiter arbeiten zu gehen – denn viele Menschen im System der wohnungslosigkeit arbeiten nämlich – auch wenn es zum Überleben nicht reicht – wird verunmöglicht. Aufgebaute Strukturen zwischen Hilfesuchenden und Sozialarbeiter:innen werden gecutted.
Das System der Wiener Wohnungslosenhilfe ist recht abstrakt und nicht leicht zu durchschauen. So geht’s nicht nur euch, sondern oftmals auch den Menschen, die darin arbeiten und/oder sich darin bewegen. Warum erzählen wir euch das hier also?
Die Forderung nach einem Ende der Ausgrenzung von wohnungslosen und ökonomisch schlecht gestellten, von papierlos arbeitenden und um ein Bleiberecht kämpfenden Menschen, sind keine spartenforderungen sondern linke Grundthemen, die uns alle vereinen!
Ebenso ist es mit der Nowendigkeit der Unterstützung besonders vulnerabler und einem großen Gefahrenrisiko ausgetzter Menschen. Und natürlich fordern wir gemeinsam ein Ende des Kapitalismus und seiner rassistischen und klassistischen Ausgrenzungsmechanismen.
Wir fordern einen Finanzierung der Einrichtungen durch den Sommer und eine Ende der Bewertung der Menschen, die in ihnen leben nach Leistung und Herkunft. Wir fordern, dass diese Einrichtungen so gestaltet und gelegen sind, dass ihre Bewohner:innen würdevoller leben können. Und wir sagen: Wohnen ist ein Grundrecht, dass dem Markt entzogen werden muss.Wohnungslosigkeit ist keine Eigenschaft, sondern wird strukturell produziert!
Wir verlangen eine Aufstockung der Plätze, besonders in Form von Einrichtungen, die zugeschnitten sind auf die Situationen von Flinta-personen, sowie von queere Menschen.
Es braucht Unterstützung für vulnerable Menschen – mit Pflegebedürfnis, Sucht- oder anderen Formen psychischer Krankheiten – unabhängig der Herkunft und ihrer Verwertbarkeit im System.
Für eine Gesellschaft der Teilhabe statt Ausgrenzung und Unterstützung statt Kriminalisierung.
Her mit der Finanzierung, liebe Stadt Wien! Und langfristig: Her mit dem gutem Leben für alle!