Fenster zur Zukunft?

                                 

Reflexionen einer*s langjährigen Mitarbeiter*in des Wohnungslosenbereichs über die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse

Bestürzt war ich von folgendem „Jobangebot“ aus dem Bereich der Wohnungslosenhilfe: Ein Übergangswohnheim suchte Vertretung für jene Mitarbeiter*innen, die zur Corona-Risikogruppe gehören und deswegen nicht mehr vor Ort sein können. So weit, so gut, doch das Ganze hatte einen ziemlichen Haken: Der Arbeitsvertrag war jeweils für ein Monat befristet. Danach wird entschieden, ob es für ein weiteres Monat weitergeht oder ob Schluss ist. Ich könnte mir also nie sicher sein, ob ich nächsten Monat noch Arbeit habe oder nicht. In so einer Situation würde ich mir aus Angst vor einem Jobverlust jede Kritik, jeden Tag Krankenstand, jeden Urlaub zweimal, dreimal, viermal überlegen. Kurze Zeit später bekam ich ein ähnliches, nicht ganz so schlimmes Angebot für einen anderen Arbeitsort noch einmal.

Bestürzt war ich vor allem auch deswegen, da ich das Gefühl hatte, hier geht ein Fenster zur Zukunft auf. So superprekär werden die zukünftigen Arbeitsverhältnisse – auch und vor allem im Sozialbereichsein. Schon jetzt bewegt sich die Sozialarbeitswelt deutlich weg von festen Arbeitsstellen und Fixverträgen. Als ich vor ca. 10 Jahren im Wohnungslosenbereich zu arbeiten begann, gab es mit Ausnahme der Zivildiener und der Karenzvertretung keine befristeten Verträge. Das hat sich seither gründlich verändert.

Ein erster, wichtiger Schritt in Richtung Prekarisierung einer ganzen Branche war die Einführung des Winterpakets. Menschen aus dem EU-Ausland, die hier nicht lange genug legal gearbeitet haben, hatten bis dahin keinen Anspruch auf irgendeine Unterstützung, und sei es nur ein Bett in einer warmen, aber voll belegten Unterkunft. So starben Winter für Winter mehrere Menschen den Kältetod in einer der reichsten Städte der Welt. Zuerst waren es private Initiativen, u.a. aus dem Umfeld der Audimax-Besetzung, die hier Nothilfe leisteten. Bald jedoch übernahm die Stadt diese Angebote und baute sie quantitativ, nicht jedoch qualitativ, aus. Sprich: Unterstützung für diese „Nicht-Anspruchs-Berechtigten“ gab es nur in den Wintermonaten.

Damals kam diese flexiblere Arbeitszeit mit den langen Sommerpausen meinen Lebensumständen sehr entgegen. Ich mochte die Arbeit. Auch für die meisten Betroffenen war es besser, dass es das Winterpaket gab. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass es Armutsverwaltung war und immer noch ist. Der Stadt Wien geht es offensichtlich vorwiegend darum, schlechte PR über die soziale Kluft, die für manche lebensbedrohlich ist, zu verhindern. Langfristige Perspektiven oder „Hoffnung“ können so nur sehr selten entstehen. Rein arbeitstechnisch gesehen wurden so befristete Verträge, die Winter für Winter erneuert wurden, und prekäre Verhältnisse in die Arbeit mit Wohnungslosen eingeführt und etabliert.

Der nächste Schritt zur Nivellierung nach unten ging vom Refugee-Support im Herbst 2015 aus. Als massenhaft Menschen vor dem Bürgerkrieg in Syrien flohen, waren es wieder vorwiegend private Initiativen, die Nothilfe leisteten. Diesmal waren es aber die großen NGOs, die, finanziert vom Staat und von der Stadt, einige der Angebote übernahmen und fortführten. Im Winter 2015/16 drehte sich die Stimmung in der Bevölkerung (oder nur in den Medien?).  Refugees wurden vorwiegend als Bedrohung und Kostenfaktor wahrgenommen. Die NGOs fürchteten, auf den Kosten der Betreuung sitzen zu bleiben, da in einigen Fällen Stadt und Staat die Finanzierung kürzten. Ein Teil des Kostendrucks wurde an die Basismitarbeiter*innen weitergegeben. Stellen wurden nicht nachbesetzt, Einrichtungen möglichst schnell geschlossen, etc.. Die Wohnungslosenhilfe war nur indirekt betroffen. Doch auch hier wurde spürbar, dass „Wirtschaftlichkeit“ ein immer wichtigerer Faktor wurde. Die daraus resultierende Verbindung von Prekarisierung und Unterbesetzung führte zu einem deutlich gestiegenen Arbeitsdruck.

Jetzt also Corona. Trotz aller Beteuerungen, wie wichtig und systemrelevant Soziale Arbeit ist, verschlechtern sich die Arbeitsverhältnisse weiter. Grund dafür sind undurchsichtige Entscheidungen, die oben in den Büroetagen des FSW (Fonds Soziales Wien), jener Teil der Stadt Wien, der die Sozialeinrichtungen finanziert und organisiert, getroffen werden. Die Veränderungen im März, nämlich die kurzfristige Umstellung auf einen 24h-Betrieb, die Verringerung der Betten, die Härten, die durch den Wegfall eines Großteils der sozialen Unterstützungsangebote (Tageszentren, Essensverteilung, medizinische Hilfe,..) entstanden, können noch  mit der geringen Planbarkeit zu Beginn der Pandemie entschuldigt werden. Doch seither sind Monate ins Land gezogen, eine langfristige Strategie ist jedoch weiterhin nicht zu erkennen. Es bleibt bei undurchsichtigen, kurzfristigen Entscheidungen: So verkündete der FSW mit Ende März 2020 eine Verlängerung des Winterpakets und eine Umstellung auf den 24h-Betrieb. Ende Juni wurde das unumstößliche Ende der Maßnahmen bekanntgegeben. Nur zwei Wochen später war es doch nicht so unumstößlich: Ein kleiner Teil der Quartiere musste nicht schließen. Noch im September hieß es, dass es in der neuen Saison, die mit Ende Oktober beginnen wird, keine Tagesbetreuung geben werde. Auch das hat sich wieder verändert: Die „neuen“ Quartiere haben wieder rund um die Uhr geöffnet.

Die Bürokrat*innen wollen und können nicht sehen, dass an ihren Entscheidungen Lebensperspektiven hängen. Von diesen hängt es auch ab, ob Obdachlose in Parks schlafen müssen oder ob sie zumindest kurzfristig ein Dach über dem Kopf haben. Auch die Arbeitsverträge von uns, die wir im Winterpaket arbeiten, hängen von diesen Entscheidungen ab. Wir sind eingesprungen, als das Winterpaket verlängert wurde. Wir haben neue Mitarbeiter*innen angelernt, als das Personal aufgestockt wurde. Wir mussten um unsere Arbeitsplätze fürchten, als es wieder abgebaut wurde. Wir waren für zwei Monate ohne Anstellung, weil der FSW mit aller Macht ein durchgehendes, niederschwelliges Angebot verhindern wollte. Wir mussten zittern, ob wir im Herbst wieder arbeiten können. Einige von uns wurden nicht wieder angestellt. Erschwerend kommt die Lage am Arbeitsmarkt dazu. Chefs sagen manchmal direkt, manchmal durch die Blume, dass genug Leute auf die Arbeitsstelle warten. So werden Protest und Beschwerden im Keim erstickt. Da kommt schon das Gefühl auf, wie Schachfiguren hin- und hergeschoben zu werden.

Es ist dieses Klima, das solche Arbeitsangebote mit einmonatiger Kündigungsfrist, wie ich sie am Anfang beschrieben habe, erst möglich machen. Das ist auch der Grund, warum ich glaube, dass es eher noch schlechter werden wird; warum sie ein Fenster zur Zukunft sein werden. Diese Entwicklung betrifft nicht nur das Winterpaket. Darüber schreibe ich nur deswegen so viel, weil ich mich da am besten auskenne. Es betrifft die gesamte Arbeit im Wohnungslosen und Sozialbereich – und wahrscheinlich darüber hinaus. Wir müssen uns Strategien überlegen, wie wir dem entgegentreten können, wie wir eine weitere Verschlechterung verhindern können.