Angespannt ist die Situation in den Quartieren des Winterpakets. Das Hauptproblem sind nach wie vor die Massenquartiere mit dichter Belegung.
Schlafsäle, wo acht Menschen Platz finden müssen, sind keine Seltenheit. Nur ein einziges Quartier verfügt über Einzelzimmer. Trotz Beteuerungen der Verantwortlichen ist dort ein Abstandhalten nicht möglich. Ein Schutz vor Ansteckung ist nicht gegeben. Der Corona-Cluster im Pavillon 8, eines der Quartiere des Winterpakets, ist eine logische Folge dieser Umstände. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es an unseren Arbeitsorten, an den Lebensmittelpunkten von hunderten von Menschen zu weiteren Ausbrüchen kommt.
In Zeiten von geschlossenen Hotels wäre es leicht, Alternativen zu der Massenunterbringung zu finden – vielleicht sogar als erster Schritt für langfristige, menschliche Lösungen. Doch fehlender politischer Wille gepaart mit fehlender Voraussicht führen zu chaotischem und fahrlässigem Krisenmanagement – leidtragende sind wir Basismitarbeiter_innen und nicht zuletzt unsere Klient_innen. Immerhin schloss der FSW im Sommer die meisten Quartiere. Es wäre also genug Zeit für eine verantwortungsbewusste Planung gewesen. Selbst im Oktober, als die Temperaturen in der Nacht teilweise schon unter den Gefrierpunkt fielen, als die Zahlen der täglich Neuinfizierten neue Rekorde erreichten, als Teile der Einschulung aus Gründen des Pandemieschutzes ausfielen, blieben die Türen der meisten Quartiere noch geschlossen.
Derweil ist in den Einrichtungen wenig passiert. Wir kehrten in dieselben Häuser zurück, die in demselben desolaten Zustand waren, wie wir sie im Sommer verließen. Nur hier und da ist ein Bett verschwunden, um zumindest den Anschein eines Hygienekonzepts zu erwecken. Tatsächlich hat sich auch durch die Umstellung auf einen 24-Stunden-Betrieb an den Räumlichkeiten wenig geändert. Adäquate Aufenthaltsräume fehlen. Es fehlt an Möglichkeiten zur sinnvollen Betätigung; ja, es fehlt teils sogar an ausreichend Sitzmöglichkeiten. De facto sind die Quartiere nur Aufbewahrungsanstalten, ganz egal ob sie 14 oder 24 Stunden offen sind.
Als wir in den ersten Wochen von einem Ausfall der Heizung in diesem Quartier hörten, von einem Befall mit Bettwanzen in jener Einrichtung oder von dem Schimmel, der bereits seit einem halben Jahr in den Duschen eines anderen Hauses wucherte, waren wir wenig überrascht. Es ist etwas, das wir aus den vergangenen Jahren kennen, und das unmittelbar mit der prekären, kurzfristigen Planung des Winterpakets zu tun hat. Unter diesen Umständen lassen sich diese kurzfristigen Unterbringungen nur in Gebäuden realisieren, wo der kapitalistische Verwertungsdruck nicht ganz so hoch ist – und die sind nun mal nicht im besten Zustand. Investitionen zahlen sich auch nicht aus – denn wer weiß, was nächstes Jahr sein wird?
Diese Dynamik, dieses Wechselspiel von fehlender langfristiger Planung und kapitalistischer Verwertungslogik führt auch zu einer Verdrängung der Quartiere, und damit auch der Obdachlosen aus der Stadt. Dieses Jahr schloss mit dem NQ Apollogasse das letzte Quartier in den inneren Bezirken (I-IX). Mensch muss sich das vorstellen: Innerhalb des Gürtels wohnen fast eine Million Menschen. Hier gibt es aber nur noch zwei Notunterkünfte: das FrauenWohnZentrum mit 32 Plätzen und die Gruft mit 60 Plätzen. Das sind weniger als 0,01% der Betten. Die meisten Quartiere, vor allem jene des Winterpakets, sind irgendwo am Stadtrand. Wo für gesunde Menschen nach Erreichen der Straßenbahn-Endhaltestelle noch ein Fußmarsch von 10-15 Minuten wartet; für Kranke dauert er dementsprechend länger. Auch so kann Obdachlosigkeit strukturell unsichtbar gemacht werden.
Diese Verdrängung an den Stadtrand bringt aber auch für die wenigen noch einigermaßen gut zu erreichenden Einrichtungen Probleme mit sich. Diese Saison gibt es coronabedingt deutlich weniger Notbetten – also Betten, für die es keine institutionelle Zuweisung braucht, und über die die Quartiere für Notfälle selbst verfügen können. Auf die wenigen Betten in diesen Unterkünften gibt es einen immensen Andrang. Basismitarbeiter_innen aus den betroffenen Einrichtungen erzählen, dass sie sich in manchen Diensten mehr als Türsteher_innen denn als Unterstützende fühlen. Anstatt Obdachlosen zu helfen, müssen sie sie auf die Straße setzen – und das nur aus Platzmangel. Gerade an diesem Beispiel wird wieder mal sichtbar, wie sehr die Planung bzw. die Nicht-Planung an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei geht.
Ein weiteres Problem ist der Personalmangel. Dieser ist prinzipiell schon aus den letzten Jahren bekannt. Schon bei der Planung werden scheinbar Überstunden und Unterbesetzungen miteingerechnet. Die daraus folgende Überbelastung und die damit einhergehende Burnout-Gefahr, die es genauso in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit gibt, waren ein wesentlicher Motor der Streikbewegung Anfang 2020. Nur diese Saison ist noch schlimmer. Da viele Basismitarbeiter_innen berechtigt Angst haben, andere anzustecken, bleiben sie anders als die Jahre zuvor bei geringen Symptomen Zuhause. Zum Teil gibt es auch explizite Anweisungen, sich bei den kleinsten Anzeichen auf eine Coronainfektion testen zu lassen. Dieses Vorgehen ist auch sinnvoll. Das Problem ist nur: Es gibt keinen Ersatz. So gibt es schon jetzt, bereits einen Monat nach Beginn des Winterpakets, Quartiere, die an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen. Und eine Besserung ist nicht in Sicht.
Eine wesentliche Wurzel der geschilderten Probleme liegt in der marginalisierten Stellung von sogenannten nicht anspruchsberechtigten Obdachlosen in unserer Gesellschaft. Also obdachlosen Menschen, die keine Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen haben. Sie sind so weit unten in der sozialen Hierarchie, dass über ihren Schutz während einer Pandemie genauso wenig nachgedacht wird, wie über ihre generellen Bedürfnisse in der Zeit darüber hinaus. Betroffen von dieser Ignoranz, wenn auch ganz anders, sind auch wir Basismitarbeiter_innen, die in den Massenquartieren arbeiten. Doch auch die Gesellschaft als Ganze ist betroffen, wenn soziale Netze so weit reißen, wenn Obdachlosigkeit in einem Ausmaß geschaffen wird, dass den Betroffenen nur ein Dach über dem Kopf und nur im Winter zusteht – und selbst das nur im besten Falle.