Arbeiten in Zeiten von Corona: Wer wird hier eigentlich geschützt und zu welchem Preis?

Endlich setzt die Stadt Wien Taten: Nachdem wochenlang die Gefahr ignoriert wurde, haben der Fonds Soziales Wien (FSW) gemeinsam mit den Trägerorganisationen das Winterpaket bis in den Sommer hinein verlängert. In den Notschlafstellen wird schrittweise auf einen 24h-Betrieb umgestellt. Es ist endlich auch möglich, dort tagsüber zu bleiben.
Wir sind erleichtert über die Schritte, werden doch damit wichtige Forderungen, die wir als Basisinitiative schon lange stellten, erfüllt. Erfreulicher wäre es natürlich gewesen, wenn es dafür nicht erst eine Pandemie gebraucht hätte.

Worum geht es bei der Ausweitung des Winterpakets wirklich? 
Die Quartiere sind als provisorische Notmaßnahmen für die Unterbringung in der Nacht geschaffen worden. Dutzende bis zu über Hundert Menschen schlafen in Mehrbettzimmern. In den meisten Quartieren gibt es nichts außer einem Bett, einer Dusche für 30 Personen und 3 Stück Käse zum Abendbrot. Unzureichende Sanitäranlagen bedingen zusätzlich die schlechten Hygienezustände in den Einrichtungen. Nun müssen sie mit dieser Infrastruktur 24 Stunden lang auskommen. Sie bleiben weiterhin auf engsten Raum zusammen, das Infektionsrisiko bleibt unverändert hoch.
Die allgemeine Verordnung social distancing zu praktizieren, funktioniert in Sammelunterkünften einfach nicht. Spätestens jetzt müssten sich alle (vor allem die “Entscheidungstragenden”) eingestehen, dass Notschlafstellen das Unvernünftigste sind, was es derzeit zu verantworten gibt. Stattdessen zeigen sie lieber mit ihrem erhobenem Finger auf jene, die unter diesem Ausnahmezustand sich ein bisschen Normalität erlauben und eigenverantwortlich im Freien verweilen, um sie moralisch diskreditieren zu können. Seien wir uns ehrlich: Es geht nicht darum, die Risikogruppe “Obdachlose” zu schützen. Wenn eine*r im Haus das Virus trägt, dann steck*t diese*r alle an. Nein, es geht darum, dass wir als Basismitarbeiter*innen die Gesellschaft vor dieser Risikogruppe schützen sollen. 
Obdachlosigkeit jetzt noch sichtbarer und verschärfter
Dabei können jene von Glück sprechen, die derzeit einen aufrechten Platz in einem Notquartier haben: denn im Zuge der Umstellung auf den 24h-Betrieb und um Platz für Quarantäne zu schaffen, wurde die Anzahl der Betten deutlich reduziert. Es ist zur Zeit sehr schwierig ein Bett in einer Einrichtung zu erhalten, um die Fluktuation von wechselnden Bewohner*innen und somit die Übertragung gering zu halten. Ein essentieller Teil der Straßensozialarbeit, der Essensausgaben und der medizinischen Versorgung wurden eingestellt. In den Tageszentren werden nun strenge Einlasskontrollen eingeführt.
Das sind an sich natürlich notwendige und sinnvolle Maßnahmen unter den gegebenen Umständen, das Risiko weitgehendst zu reduzieren. Doch bedeutet das auch, dass nun mehr Leute auf der Strasse stehen, weil der Zugang zur Versorgung massiv beschränkt wurde. Nicht nur für unser klassisches Klientel, Wohnungs- und Obdachlose, auch Sans-Papier, sogenannte Illegalisierte, sind in der jetzigen Krise vermehrt aufgetaucht und sind nun abgeschnitten von der Versorgung. Wir haben sofort die Knappheit an Schlafplätzen zu spüren bekommen und das Problem wird sich noch weiter verschärfen, wenn nicht Abhilfe geschaffen wird. Daher muss jetzt zusätzlicher Wohnraum zur Verfügung gestellt werden!

Wir bleiben nach wie vor bei unserer Forderung die Hotels und leerstehende Wohnungen zu öffnen für jene, die keinen adäquaten Wohnraum haben, Schutz vor Gewalt suchen und in Lagern eingesperrt sind – hier in Wien als auch an den Grenzen Europas!

Wer zahlt für die Krise und wem wird ausbezahlt?
In Frankreich und in London soll genau das nun umgesetzt werden: Leerstehende Hotels werden hinzugezogen, um die Notversorgung für Obdachlose zu gewährleisten. Doch hierzulande scheint die Hotelierslobby einen gewaltigen Einfluss zu haben, wie die Ereignisse in Ischgl zeigen. In diesem Zusammenhang wundert es uns kaum, dass die Regierung auf einmal Geld in unvorstellbarer Höhe auf den Weg bringt,  dabei aber die Benachteiligten vergisst.
Wenn das Credo in dieser Krise lautet, die Risikogruppen zu schützen und jenen Dankbarkeit und Wertschätzung entgegenzubringen, die in dieser Zeit unsere Gesellschaft am Laufen halten: wo bleibt dann das Geld für die Marginalisierten, für jene die Betreuungs- und Pflegearbeit leisten, die das Gesundheitswesen aufrecht erhalten, die Infrastruktur und Versorgung sicher stellen?
Wo ist das Geld für die Infrastruktur und Maßnahmen, die der breiten Bevölkerung zugute kommt, die nun mit einer noch prekäreren finanziellen Situation zu kämpfen hat? Statt wieder millionenschwere Subventionen an Großunternehmen und Konzerne zu verteilen, sollte der Zugang zu freiem Wohnen, medizinischer Versorgung und einem gesicherten Grundeinkommen ermöglicht werden.
In den Notquartieren und Tageszentren herrscht verständlicherweise Unsicherheit: wie können wir die Einrichtung in diesen Zeiten sicherer machen, sowohl für uns Arbeiter*innen als auch für unsere Klient*innen? Es hat sich in den meisten Einrichtungen gezeigt, dass in dieser Krisensituation die Leitungen überfordert waren und keine Antworten darauf wussten, außer uns die gängigen Hygienevorschriften zukommen zu lassen, die uns eh allen bekannt sind. Vielerorts mussten wir Basismitarbeiter*innen uns selbst organisieren, die Abläufe umstrukturieren, Schutzmassnahmen einführen, Teamkommunikation übernehmen, usw. damit wir weiterhin arbeiten können. Ohne uns als Expert*innen unserer Arbeit würde “der Laden” zusammenbrechen… und doch wollen sie noch immer nicht über mehr Personal, bessere Bezahlung und Bedingungen sprechen? Insbesondere jetzt, wo wir einem noch höherem Risiko ausgesetzt sind und ohne Schutzkleidung arbeiten? Stattdessen schicken sie uns Danksagungen von ihren Home Office aus und vertrauen darauf, dass “wir in Zeiten der Krise zusammenhalten”. 

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie herrschte Personalknappheit. Nun fehlen durch Krankheit und vorsorgliche Freistellungen zusätzliche Kolleg*innen. Die Arbeit aber wird durch das erhöhte Ansteckungsrisiko und fehlender Schutzausrüstung gefährlicher und durch die Verunsicherung stressiger. Nicht einmal ein finanzieller Ausgleich ist bislang vorgesehen.

Schon vor der Krise wollten sie nicht darüber sprechen und ausgerechnet während der Krise sei der falsche Zeitpunkt… Wir befinden aber: Gerade jetzt sollten wir darüber sprechen, wo doch offensichtlich wird, wo sich die Missstände zeigen.

Wir fordern daher ausreichend Personal, Pandemie-Zuschläge und Sonderurlaub für alle, die in Bereichen mit erhöhtem Risiko und Belastung arbeiten! Genauso schließen wir uns den Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 35h-Woche an!

Nur weil jetzt die Kollektivvertragsverhandlungen ausgesetzt sind, ist die Notwendigkeit nicht verfallen.

Daher lauten unsere Forderungen:
  • Öffnung von Hotels & Wohnungen für alle, die keinen adäquaten Wohnraum haben!
  • Ausreichend Betreuung mit genug Personal für ALLE Wohnungslosen!
  • Arbeitszeitverkürung, Pandemie-Zuschläge und Sonderurlaub für uns Basismitarbeiter*innen!

 

Mit dieser Petition könnt ihr die Forderung nach Hotelöffnung unterstützen.

Außerdem möchten wir auf die Initiative Solidarisch gegen Corona hinweisen, die aus globaler Perspektive die Situation von marginalisierten Gruppen dokumentiert als auch Berichte über widerständige Praxis und Solidaritätsnetzwerke sammelt.

Des weiteren schließen wir uns den Forderungen der Transbalkan-Solidaritätsgruppe an, die auf die katastrophale Situation von Geflüchteten entlang der Balkanroute und den europäischen Grenzen aufmerksam machen.

Mit CoView gibt es in Österreich seit neuestem eine Plattform, die die staatlichen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie beobachtet und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft kritisch beleuchtet.