Öffentliche Anfrage an Sozialstadtrat, FSW und Träger

Folgender Brief ging an die Veranwortlichen der Wiener Wohnungslosenhilfe – wir warten auf Antworten!

“Sehr geehrter Herr Sozialstadtrat Hacker, sehr geehrte Damen und Herren des Fonds Soziales Wien und der Trägerorganisationen ASB, Caritas, Rotes Kreuz, Johanniter, Volkshilfe!

Als Basismitarbeiter_innen der Wiener Wohnungslosenhilfe beobachten wir die derzeitige Krise mit Sorge. Zum einen begrüßen wir die Umstellung auf einen ganztägigen Betrieb der Notschlafstellen, als auch die Verlängerung des Winterpaketes. Das hat sowohl zu einer enormen Entspannung bei unseren Klient*innen als auch zu einer Entlastung unserer Arbeitssituation beigetragen. Nicht zuletzt kommt diese Umsetzung auch einigen jener zentralen Forderungen nach, die wir vergangenes Jahr als Basisinitiative gestellt haben. 

Zugleich beobachten wir jedoch, dass das Angebot für obdachlose Menschen massiv zurückgefahren wurde, sodass nun viele Betroffene von der Versorgung ausgeschlossen sind. Das betrifft sowohl Tageszentren und Wärmestuben als auch die Bettenanzahl in den Notschlafstellen. Gleichzeitig bleiben Hotels und private Ferienwohnungen (u.a. airbnb) trotz staatlicher Subventionen leer.

Wir erleben erhöhte Anfragen, müssen aber viele hilfesuchende Menschen abweisen und können die Wenigsten an entsprechende Angebote weitervermitteln. Zudem treffen wir auf Menschen, die zuvor in prekären Wohnverhältnissen gelebt haben (verdeckte Wohnungslosigkeit, private Sammelunterkünfte) und jetzt auf der Straße stehen.

Ganz verheerend sieht die Situation wieder einmal für obdachlose Frauen aus: denn für sie gibt es de facto gar keine Notbetten mehr. Wir erleben eine paradoxe Situation: während viele nun komplett von der Versorgung ausgeschlossen sind, wohnen die Nutzer_innen der Hilfsangebote in viel zu großen Sammelunterkünften, teilen sich mangelhafte sanitäre Anlagen und sehen sich somit einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt.

Gerade bei bisherigen Verdachtsfällen wurde deutlich, dass es an Krisenplänen fehlt: Weder werden die Nutzer_innen, welche Kontakt zu Erkrankten hatten, oder die Mitarbeiter_innen ausreichend und umgehend über Verdachts- und Krankheitsfälle informiert, noch gibt es ausreichend Schutzkleidung für den Anlassfall. Auch das betrachten wir als nicht verantwortungsvoll und fahrlässig.

Wir als Basismitarbeiter_innen fordern mehr Transparenz im Umgang mit dieser Krise und möchten deshalb folgende Fragen an Sie stellen:

Zur Grundversorgung:
  • Wie viele Betten stehen derzeit in den Notquartieren zur Verfügung? Wie hat sich diese Zahl in Bezug auf die Vor-Corona-Zeit verändert (m/w/Paare)?
  • Wie viele Menschen müssen Ihren Schätzungen nach zur Zeit auf der Straße schlafen? Wie gedenken Sie diese Menschen zu erreichen und zu versorgen?
  • Gibt es Pläne für die Wiederaufstockung der zuletzt stark reduzierten Bettenanzahl? Wenn nein, wieso nicht?
  • Gibt es Pläne für die Einrichtung von zusätzlichen Frauenplätzen? Wenn nein, wieso nicht?
  • Derzeit findet eine Zusammenlegung der Einrichtungen NQ Breitenfurterstraße und NQ Lacknergasse im NQ Meidling (Kerschensteinergasse) statt. Dabei gehen unseren Einschätzungen nach etwa 50 Betten für Männer verloren. Gibt es Pläne diese Bettenanzahl wieder aufzustocken?
  • Welche Tageszentren und Wärmestuben haben unter welchen Bedingungen offen? Gibt es Pläne, die Notversorgung (Essen, Kleidung, Waschen, Spritzentausch etc.) unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen zu erweitern?
  • Einige Streetwork-Angebote wurden eingestellt oder stark reduziert. Dabei ist Streetwork zentral, um von Obdachlosigkeit betroffene Menschen erreichen zu können. Gerade in diesen Zeiten benötigt es einen vermehrten Einsatz auf der Straße. Warum wird der reguläre Betrieb nicht wieder aufgenommen, um diese Menschen zu erreichen?
Zu den Schutzmaßnahmen:
  • Wir als Basismitarbeiter_innen erleben deutlich, dass viele Menschen derzeit von jeglicher Grundversorgung abgeschnitten sind. Welche Gesamtstrategie verfolgen die Stadt Wien und die Trägerorganisationen, um all diese Menschen zu erreichen und adäquat zu versorgen, und damit auch zur schnellstmöglichen Eindämmung der Pandemie beizutragen?
  • Welche Schutzmaßnahmen und Unterbringungsformen sind für jene obdachlosen Menschen angedacht, die besonders gefährdet sind (Alter, Vorerkrankungen etc.)?
  • Eigene Zimmer würden eine wichtige Voraussetzung für die erforderlichen Gesundheits- und Schutzstandards darstellen, die über die unzureichenden Möglichkeiten der derzeitigen Sammelunterkünfte hinausreichen. Gedenkt die Stadt Wien dafür brachliegende Infrastruktur, wie geschlossene Hotels, zur Akutversorgung heranzuziehen, um eine sichere Unterbringung zu ermöglichen? Wenn nein, warum nicht, und würde das bedeuten, dass die Stadt Wien wissentlich Hochrisikogruppen gefährdet?
  • Die Verdachtsfälle in unseren Einrichtungen häufen sich. Offensichtlich wurde dabei, dass das Krisenmanagement nicht klar ist. Wie lautet die Vorgangsweise bei positiv getesteten Covid-19-Krankheitsfällen? Wo werden betroffene Klient_innen untergebracht und versorgt? Wie soll eine Rückverfolgbarkeit von Kontakten in unseren Einrichtungen und Unterkünften sichergestellt werden? Wie soll die Sicherheit und Gesundheit der restlichen Nutzer_innen und Bewohner_innen in unseren Einrichtungen garantiert werden? Wie sehen Quarantänemaßnahmen in solchen Fällen aus? 
  • Warum ist die Ausstattung von Schutzkleidung in unserem Bereich noch derartig unzureichend, während nun in so vielen Bereichen Mund-Nasen-Schutz-Pflicht besteht? Wie gedenken Sie, dieses Problem zu beheben?

Wir als Basismitarbeiter_innen sind tagtäglich und rund um die Uhr im direkten Kontakt und Austausch mit unseren Klient*innen. Wir setzen uns täglich dem Infektionsrisiko aus und sind gleichzeitig potenzielle Gefährder_innen für unsere Klient_innen und unsere Angehörigen, mit denen wir zusammenleben. Wir tragen Verantwortung für uns und die Menschen, die uns umgeben.

Daher bitten wir auch Sie, ihrer Verantwortung nachzukommen, unsere Anfrage als ein Hinweisen auf Missstände in der Wohnungslosenhilfe zu betrachten und auf diese entsprechend zu reagieren. Bisher wurde es verabsäumt, unsere Expertise als Mitarbeiter_innen an der Basis miteinzubeziehen. Daher möchten wir einen transparenten Dialog mit uns Angestellten einfordern.

Mit erwartungsvollen Grüßen,
Initiative Sommerpaket”