Hinter der schönen Welt der Worte

Wenn wir in diesen Tagen die Nachrichten lesen, so können wir uns nur verwundert die Augen reiben. Scheinbar gibt es eine schöne neue Welt, wo alle solidarisch mit den Obdachlosen sind. So erzählt Peter Hacker, seines Zeichens Sozialstadtrat in Wien, in einen Interview:

„Außerdem haben wir nicht diese große Gruppe von versteckt lebenden Schwarzarbeitern, die das Virus lange Zeit verbreiten konnten, ohne dass es die Gesundheitsbehörden merkten. Dasselbe ist in Spanien oder in Frankreich zu beobachten. Daran sieht man übrigens, wie unglaublich wichtig es ist, dass es niemanden gibt, der außerhalb des Sozial- und Gesundheitssystems lebt. Große Gruppen von Menschen, die vom Gesundheitssystem ausgeschlossen werden, sind schlecht für eine Gesellschaft. Es muss ein Gesundheitssystem geben, das alle erfasst.“

Wir übersehen jetzt mal großzügig, dass es weniger die illegalisierten Arbeiter*innen, sondern viel mehr die Skifahrer*innen waren, die zur Ausbreitung des Virus beigetragen haben, sondern freuen uns, dass er die sozialen und medizinischen Versorgung von Illegalisierten, von denen manche auch in den Winternotquartieren schlafen, verbessert. Später stellte er klar, dass er auch die Hilfsbedürftigen nicht vergessen hat. Darum seien nun die Winternotquartiere für Obdachlose bis in den August offen: „Wir setzen sie nicht der Ansteckungsgefahr auf offener Straße aus.“ Dabei ist die Ansteckungsgefahr in den Massenquartieren viel größer als im Freien..

Tatkräftige Unterstützung bekommt er vom Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dieser erklärte, dass er leider nichts für die Refugees in den vollkommen überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln machen könne, da er sich um die heimischen Obdachlosen kümmern müsse. Natürlich sind wir strikt dagegen, marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen. Das ist nicht nur moralisch und poitisch falsch, es ist auch faktischer Blödsinn, dass da eine das andere ausschließen würde.

Auch die Caritas ist fleißig am Geld sammeln, da sie auch so viel für die Obdachlosen machen. Sie schreiben: „Damit obdachlose Menschen auch in dieser herausfordernden Zeit einen Schlafplatz, bzw. eine Unterkunft finden, sind wir vermehrt auf Spenden angewiesen. Viele Notschlafstellen für wohnungslose Menschen haben nun auch tagsüber geöffnet, weil ein Aufhalten im Freien nicht mehr erlaubt ist. Wir benötigen somit mehr Mittel für Betreuung, Verpflegung und Betrieb der Einrichtungen.“

Das Blöde ist nur: Sobald wir in die Arbeit gehen, merken wir von dieser großartigen Unterstützung nichts mehr. Einige Notquartiere sind so voll, dass 1 Meter Abstand halten illusorisch ist. Zimmer mit mehr als 10 Betten sind keine Seltenheit. Auch im Mitarbeiter*innenbereich ist es tatsächlich unmöglich konsequent 1m mindestabstand einzuhalten. Desinfektionsmittel sind knapp, und auch die Schutzkleidung sind Mangelware.  So wird vielleicht die Ansteckungsgefahr auf offener Straße geringer, die Ansteckungsgefahr in den Quartieren aber umso höher – sowohl für die Nächtiger*innen als auch für uns Mitarbeiter*innen.

Unter diesen Umständen steigt die Arbeitsbelastung für uns in manchen Einrichtungen enorm . Die Enge der Quartiere und die vielen Nächtiger*innen in einem  Zimmer sind schon in „normalen“ Zeiten eine Belastung. Jetzt werden sie zur Zumutung. Ablenkungsmöglichkeiten gibt es so gut wie keine. Wegen der allgemeinen Verunsicherung und der Anspannung kommt es viel öfters zu Konflikten. Dazu kommt, dass wir aufgrund der vermehrten Krankenstände immer wieder einspringen müssen. Und auch uns fehlt die Möglichkeit, sich nach Dienstschluss abzulenken…

Dennoch können sich die, die in einem der überfüllten Quartiere unterkommen, glücklich schätzen. Durch die Vorbereitung auf mögliche Quarantänefälle und durch die Umstellung auf den 24h-Betriebe haben die Quartiere die Anzahl ihrer Betten deutlich reduziert. Wir schätzen, dass so ca. 100 Schlafplätze verloren gegangen sind. Notaufnahmen sind nur noch in ganz wenigen Plätzen möglich. Manche Quartiere haben sogar alle Neuaufnahmen ausgesetzt. Gleichzeitig gibt es einen erhöhten Bedarf. Menschen werden aus Gefängnis, Schubhaft und Psychiatrien entlassen oder verlieren ihre prekären Arbeitsplätze und damit oftmals auch ihre ebenso präkären Wohnplätze. Bei anderen fällt die Möglichkeit bei Verwandetn oder Bekannten “ein paar Nächte auf der Couch” zu verbringen weg. Sie alle haben keinen Schlafplatz. D.h. konkret, viele Menschen werden gezwungen, selbst bei Minusgraden draußen zu schlafen.

Auch tagsüber gibt es für sie kaum mehr Möglichkeiten. Viele Essensausgabestellen haben geschlossen, die medizinische Versorgung gibt es nur noch eingeschränkt. Die Tageszentren laufen nur noch im Notbetrieb, ein längeres Verweilen dort ist nicht mehr möglich. Andere, wie z.B. die Gruft der Caritas haben nur noch für die eigenen Nächtiger*innen geöffnet. 

Wir haben Sebastian Kurz gesucht, wie er tatkräftig hilft, leider haben wir ihn nicht gefunden. Es ist eben nur eine schöne Welt der Worte, in der sie ihre Solidarität ausüben. Dahinter verbirgt sich aber nur Zynismus, sie mit ihren schönen Reden, Interviews und Spendensammlungen nur die harte Realität ausblenden wollen.

Uns bleibt nur, das Offensichtliche festzuhalten:

Schönen Worte interessieren uns nicht mehr!

Was zählt, sind Taten!

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